Der Dolmetscher
Jörg Haßler erklärt „Microtargeting“

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Selbst der klassische Haustürwahlkampf (hier vor der Landtagswahl in Hessen 2013) ist längst nicht mehr gänzlich analog. Mitunter dient er der Sammlung digital verknüpfbarer und verwertbarer Daten. Foto: Daniel Reinhardt/Picture Alliance/dpa

Es gibt wissenschaftliche Begriffe, die es in die Alltagswelt geschafft haben. LMU-Wissenschaftler erklären an dieser Stelle solche Ausdrücke – nicht nur mit einer reinen Definition, sondern auch mit einer kurzen Geschichte ihrer Popularität.

Microtargeting ist ein Verfahren aus dem Direktmarketing, damit lassen sich Zielgruppen individuell ansprechen. Möglich wurde es durch Verwendung von Daten, wie wir sie alle über Social Media bereitstellen, insbesondere über Facebook, die reichweitenstärkste Plattform. Seit einigen Jahren wird Microtargeting auch in der Politik genutzt. In den USA perfektionierte bereits Barack Obama das Verfahren, auch Donald Trump setzte darauf. Dort verfügen Parteien und Kampagnen-Teams über eigene Datenbanken, insbesondere detaillierte Wählerregister. Darin sind personenbezogene Informationen bis hin zur Wahlentscheidung enthalten, sie werden mit den über Facebook verfügbaren Daten verknüpft. Das Ergebnis sind individuelle Wahlanzeigen.

Insbesondere die Kampagne von Donald Trump verwendete gezielt Falschaussagen und bediente Vorurteile. Entsprechende Wahlanzeigen wurden trotzdem oft unkommentiert verbreitet. In Europa gibt es engere datenschutzrechtliche Regeln für Parteienwerbung. Es ist bislang nicht so einfach möglich, Daten aus verschiedenen Quellen auf Personenebene miteinander zu verbinden. Trotzdem kann man über die Filter-Tools von Facebook gezielt Personengruppen ansprechen, etwa junge Menschen, die sich für Elektroautos interessieren.

Seit einiger Zeit versuchen Parteien auch in Deutschland, eigene Datenbanken aufzubauen und Informationen über ihre Wählerinnen und Wähler zu sammeln, im Haustürwahlkampf oder online. Die CDU etwa betreibt die Plattform CDU-connect. Erstellt sie auf dieser Basis das Profil eines typischen Parteiwählers, kann sie via Facebook nach statistischen Zwillingen suchen, also Menschen, die ähnliche Eigenschaften haben wie die Wähler, und diesen dann gezielt individuelle Wahlwerbung über Social Media anbieten. In den letzten Jahren hat in der Politik die Bereitschaft, neue Tools zu nutzen, stark zugenommen. Die Parteien probieren sehr viel aus, es ist nicht auszuschließen, dass sie auch in Graubereiche kommen.
Wichtig finde ich hier die demokratietheoretische Komponente. Wenn die Politik unterschiedliche oder sich sogar widersprechende Aussagen an Teilöffentlichkeiten ausspielt, wissen die Wählerinnen und Wähler im Extremfall nicht mehr, für welche Positionen eine Partei steht. Ein Beispiel könnte sein, dass eine Partei Pro-Klima-Botschaften an junge Menschen aussendet, von denen sie weiß, dass sie sich über Klimaneutralität informiert haben, und gleichzeitig an Selbständige deregulatorische Botschaften schickt, die eher auf eine klimaschädliche Politik abzielen. Solche Tendenzen sehen wir tatsächlich.

Daher gibt es seit 2019 in Deutschland für Facebook eine Bibliothek, in der Werbeanzeigen abgelegt werden. Diese ist nur auf öffentlichen Druck hin entstanden. Allerdings ist sie nicht vollständig. Zudem wird nicht ersichtlich, wie viel Geld Parteien für Anzeigen und Kampagnen ausgegeben haben. Da besteht extrem großer regulatorischer Bedarf in Deutschland und in der EU. Wir brauchen klare Richtlinien zur Transparenz.“ (Protokoll: huf)

Dr. Jörg Haßler leitet die Nachwuchsforschungsgruppe Digital Democratic Mobilization in Hybrid Media Systems (DigiDeMo) am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IfKW) der LMU.

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