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Titelbild: Weizenernte in der chinesischen Provinz Jiangsu: Schon in den nächsten zehn Jahren werden sich die Anbaubedingungen für die wichtigsten Kulturpflanzen tiefgreifend verändern. Langfristig könnten die Erträge bei Mais etwa dramatisch einbrechen, die von Weizen beispielsweise in Regionen wie China dagegen sogar anziehen. Foto: Liu Chenglong/VCG/Contributor/Getty Images

Klimawandel verändert Anbau und Erträge schneller als erwartet

Neue Computersimulationen sagen tiefgreifende Veränderungen in den Anbaubedingungen und Erträgen der wichtigsten Kulturpflanzen schon in den nächsten zehn Jahren voraus, wenn sich die derzeitigen Trends der globalen Erwärmung fortsetzen. In den wichtigsten Kornkammern der Welt wird es viel schneller als bisher erwartet zu gravierenden Veränderungen kommen, so dass sich die Landwirte in aller Welt schon jetzt an die neuen klimatischen Gegebenheiten anpassen müssen. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten die Maiserträge um fast ein Viertel zurückgehen, während die Weizenerträge möglicherweise weltweit um etwa 17 Prozent steigen.

Die menschengemachten Treibhausgasemissionen führen zu höheren Temperaturen, veränderten Niederschlagsmustern und mehr Kohlendioxid in der Luft. Das hat Folgen für das Pflanzenwachstum. Schon innerhalb der kommenden zehn Jahre „wird das Klimawandelsignal klar alles sonstige Rauschen übertönen“, sagt Hauptautor Jonas Jägermeyr, Klimawissenschaftler unter anderem am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Das bedeutet, dass sich die Landwirte viel schneller anpassen müssen, indem sie zum Beispiel den Zeitpunkt der Aussaat verändern oder andere Pflanzensorten verwenden. Selbst unter optimistischen Klimaszenarien wird sich die globale Landwirtschaft einer neuen Klimarealität stellen müssen.“

Das internationale Forscherteam, an dem auch Dr. Florian Zabel und Julia Maximiliane Schneider vom Department für Geographie der LMU München maßgeblich beteiligt waren, kombinierte eine Reihe neuer Klimaprojektionen und Pflanzenwachstumsmodelle der neuesten Generation und erstellte so das derzeit größte Ensemble künftiger Projektionen landwirtschaftlicher Erträge. Mais wird in vielen Regionen angebaut, darunter auch in subtropischen und tropischen Ländern, die von steigenden Temperaturen heftiger betroffen sein werden als kühlere Regionen der hohen Breiten. In Nord- und Mittelamerika, Westafrika, Zentral- und Ostasien könnten den neuen Simulationen zufolge die Maiserträge in naher Zukunft um mehr als 20 Prozent zurückgehen. Bei Weizen hingegen, der am besten in gemäßigten Klimazonen gedeiht, könnte die Produktivität in den derzeitigen Anbauregionen unter dem Klimawandel steigen, so etwa in den nördlichen Vereinigten Staaten und Kanada sowie in China. „Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass Ertragsrückgänge durch den Klimawandel vor allem in ärmeren Ländern zu verzeichnen sind. Dadurch könnten sich bereits bestehende Unterschiede beim Anbau von Grundnahrungsmittel verschärfen und sich nachteilig auf den Wohlstand in diesen Regionen auswirken“, sagt Florian Zabel. Unter dem Strich werden die Zuwächse bei Weizen im globalen Norden die Verluste bei Mais im globalen Süden nicht ausgleichen. (PIK/math)
Nature Food, November 2021

Ernährungspolitik: „Ungenutztes Potenzial”

15 Prozent aller Todesfälle und 17 Milliarden Euro Gesundheitskosten pro Jahr gehen in Deutschland auf unausgewogene Ernährungsmuster zurück. Zudem verursacht das globale Ernährungssystem ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen und ist hauptverantwortlich für das Artensterben, haben Experten berechnet. Die Politik kann maßgeblich dazu beitragen, dass die gesunde und nachhaltige Wahl bei der Ernährung eine einfache Wahl ist – etwa durch Qualitätsstandards für die Schulverpflegung, Regeln für die Nährwertkennzeichnung oder die Lebensmittelbesteuerung.

Doch in Deutschland nutzt die Politik das Potenzial solcher Maßnahmen nur unzureichend, es gibt einen erheblichen Reformbedarf. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom LMU-Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung und des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen gemeinsam mit zahlreichen Experten aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft gemacht haben. Dafür erfassten und bewerteten sie die politischen Maßnahmen und Regeln mithilfe des sogenannten Food Environment Policy Index (Food EPI), einer international anerkannten Methode. „Ein Vergleich der Ergebnisse mit internationalen Best Practices war ernüchternd“, sagt LMU-Wissenschaftler Peter von Philipsborn, der Leiter des Forschungsprojektes. Handlungsbedarf besteht nach Ansicht der Autoren unter anderem bei der Umsetzung einer hochwertigen, gebührenfreien Schul- und Kitaverpflegung. Zur Finanzierung einer höherwertigen Kita- und Schulverpflegung schlagen die Experten die Einführung einer Herstellerabgabe auf Softdrinks vor, mit nach dem Zuckergehalt gestaffelten Steuersätzen. Zudem fordern sie gesetzliche Regeln für Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet. (göd)

Gehirnverletzung nach langem Aufenthalt im All

Rückkehr in einer russischen Raumkapsel nach 196 Tagen in der Schwerelosigkeit,
Kasachstan, 2020. Foto: Imago / ZUMA Wire / Denis Derevtsov / NASA

Langzeitaufenthalte im Weltraum lassen bei Raumfahrern nicht nur Muskeln und Knochen schwinden, sondern wirken sich auch auf das Gehirn aus. Ein Team um die LMU-Mediziner Peter zu Eulenburg und Alexander Choukér hat nun erstmals bei Kosmonauten nachgewiesen, dass mehrere Kennproteine für Alterungsprozesse und Verletzungen des Gehirns nach der Rückkehr aus dem All deutlich ansteigen. Die Forscher untersuchten fünf Kosmonauten, die im Mittel 169 Tage auf der internationalen Raumstation ISS verbracht hatten – vor dem Start und nach der Rückkehr entnahmen sie dafür Blut. „Damit sind wir die ersten, die engmaschig über drei Wochen unmittelbar nach einem Langzeitaufenthalt sehr detailliert im Blut den Zustand des Gehirns beurteilen können“, sagt zu Eulenburg. Die Blutproben zeigen einen erheblichen Anstieg hirneigener Proteine, vor allem in der ersten Woche nach Rückkehr. Die Veränderungen sprechen für eine Verletzung der langen Nervenfasern in der weißen Substanz und der Glia, dem Stützgewebe des Gehirns. Der Anstieg ist für zwei Varianten des Amyloid-Proteins, einen Alterungsmarker, sogar noch nach drei Wochen nachweisbar und korreliert mit der Aufenthaltsdauer im All. Die Werte für das Tau-Protein als Repräsentant der grauen Substanz fielen drei Wochen nach Rückkehr deutlich ab. Da sich verschiedene Proteine sehr ähnlich verhielten, gehen die Forscher von einer umfassenden Gesamtreaktion des Gehirns aus. „Insgesamt deuten unsere Ergebnisse auf eine leichte, aber anhaltende Hirnverletzung und einen beschleunigten Alterungsprozess des Gehirns hin“, sagt zu Eulenburg. „Alle relevanten Gewebsarten des Gehirns scheinen betroffen zu sein.“ Ursache könnte ein in Schwerelosigkeit gestörter Abfluss des venösen Bluts aus dem Kopf sein, der im Lauf der Zeit zum Druckanstieg im Nervenwasser führt. (huf)
JAMA Neurology, Oktober 2021

Was den Infarkt am Morgen wahrscheinlicher macht

Das Risiko, dass ein atherosklerotischer Plaque aufreißt, unterliegt tageszeitlichen Schwankungen. Deshalb treten Herzinfarkte und Schlaganfälle häufiger am Morgen auf als im Rest des Tages, berichten LMU-Mediziner um Maliheh Nazari-Jahantigh und Andreas Schober im Fachblatt Circulation. Offenbar ist daran auch die Zusammensetzung der Plaques selbst beteiligt. Während nämlich ein intakter Tag-Nacht-Rhythmus das Risiko für Herzinfarkte vermindert, können zirkadiane Prozesse in den Plaques selbst auch das Risiko für eine Ruptur erhöhen. Der Grund: Durch die microRNA-21 sterben Zellen in den Plaques zu Beginn der aktiven Phase vermehrt ab, ohne dass die toten Zellen beseitigt werden können. Die Ansammlung von totem Zellmaterial zu diesem Zeitpunkt erhöht das Risiko der Ruptur. Unklar sind dabei aber noch die molekularen Taktgeber, die die Plaquezusammensetzung und die damit verbundene Anfälligkeit für Rupturen steuern. (huf)
Circulation, Juli 2021

Bakterien: Evolution in der Tiefe

Bei Bakterien läuft die Evolution oft im Zeitraffertempo ab. Zufällige Veränderungen im Erbgut machen sich daher rasch bemerkbar. Bakterien tauschen zudem ihr Genom oder Teile davon untereinander aus. Mutationen, die dem Organismus eher schaden, werden so wieder ausgeglichen. Solche, die Überlebensvorteile bringen, breiten sich als neue Eigenschaft aus. So läuft es zumindest an der Erdoberfläche und in oberflächennahen Erdschichten ab. Was aber ist mit Bakterien, die in Millionen Jahre alten Sedimentschichten unter dem Meeresboden eingesperrt sind? „Bislang haben viele Kollegen die Hypothese vertreten, dass dort keine Evolution stattfinden kann“, sagt LMU-Geomikrobiologe William Orsi. Der Grund: Bakterienpopulationen in den uralten Sedimenten zeichnen sich durch extrem langsamen Stoffwechsel und niedrige Fortpflanzungsraten aus. Ein genetischer Austausch ist aufgrund der Isolation nicht ohne Weiteres möglich. Tatsächlich aber entwickeln sich Mikroorganismen auch unter diesen besonderen Bedingungen genetisch fort, zeigt Orsis Team. (göd)
mBio, August 2021

Jahrtausende alter Fernhandel prägt sibirische Hunde

Archäologische Funde deuten darauf hin, dass die Menschen Nordwestsibiriens bereits vor 2.000 Jahren weitreichende Handelsbeziehungen unterhielten – Spuren davon finden sich auch im Genom sibirischer Hunde, wie ein internationales Team um den LMU-Paläogenomiker Laurent Frantz berichtet. Genetische Analysen von bis zu 11.000 Jahre alten Hunden aus Sibirien und Eurasien zeigten, dass es ab der Eisenzeit vor 2.000 Jahren immer wieder eine signifikante Vermischung mit Hundespezies aus der eurasischen Steppe und aus Europa gab. Es müssen also Hunde aus diesen Regionen importiert worden sein. Dies hing vermutlich mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammen, etwa dem Import von Eisen und der ersten Nutzung von Rentieren zum Ziehen von Schlitten: „Als die Menschen begannen, größere Rentierherden zu halten, erwarben sie vermutlich Hunde, die besser für das Hüten geeignet waren“, sagt Frantz. Die Vermischung der Populationen führte schließlich zur Entstehung moderner sibirischer Hundelinien wie den heutigen Samojeden. (göd)
PNAS, September 2021

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