Ein Vorgeschmack auf die Verschärfung der Klimakrise: Flutkatastrophe, Juli 2021, Ahrbrück, Rheinland-Pfalz. Foto: Dominik Asbach/laif
Die Krise des Krisenmodus
Zwei Konflikte zeigen auf radikale Weise die Störanfälligkeit der Gesellschaft: die Klimakrise und die Covidkrise. Beiden gemein ist, dass es der Menschheit nicht gelingt, Strategien zur Bewältigung zu entwickeln, obwohl die Lösungen wissenschaftlich unumstritten sind: Dekarbonisierung im einen Fall, Impfen im anderen.
„Wie kann die Gesellschaft so viel Leid und Problematisches zulassen, während sie die Mittel dagegen doch in der Hand zu halten scheint?“, fragt daher der Münchner Soziologe Armin Nassehi in seiner umfassenden Theorie der überforderten Gesellschaft und stellt damit die alte Frage der Theodizee neu.
Der Haupttitel Unbehagen, der sich an Freuds bahnbrechendes Buch Das Unbe- hagen in der Kultur anlehnt, weist den Weg: Nicht Klima oder Virus sind die tatsächlichen Ursachen der Krise, es ist vielmehr die Gesellschaft selbst: „Was passiert mit einer Gesellschaft, die an sich selbst wahrnimmt, wie sie wirklich ist? Funktional differenziert, von Zielkonflikten geprägt und ohne ein Zentrum, vom dem her sich die Teile angemessen anordnen lassen?“ Anders als in der Vormoderne ist der Platz des Individuums nicht mehr vordefiniert. Alle spielen unterschiedliche Rollen in diversen Subsystemen mit jeweils eigenen Regeln. Der Effekt: Moderne Gesellschaften lassen sich nicht einfach durchregieren, so Nassehi. Schon kurz nach dem ersten Lockdown „dekomponierte sich (die Gesellschaft) wieder in die unterschiedlichen Perspektiven“.
In dieser vermeintlichen Schwäche gründet aber die Stärke moderner Gesellschaften: „Die Pandemie hat Vieles sichtbar gemacht, was sonst gerade deshalb funktioniert, weil es unsichtbar bleibt.“ Und genau das verursacht das von Nassehi diagnostizierte „Unbehagen“. Die Moderne ist so erfolgreich, weil die unterschiedlichen Subsysteme entkoppelt sind und nicht mehr Hierarchie die Gesellschaft strukturiert. Die Folge ist paradox: Erst die Ausdifferenzierung und die Orientierung an der Sache ermöglicht jenen Fortschritt, der sich zum Beispiel in der Entwicklung von Vakzinen zeigt.
Gleichzeitig erschwert genau diese Differenzierung die Implementierung geeigneter Maßnahmen, schreibt Nassehi: „Der größte Wunsch (…) ist: nicht mehr so genau hinsehen zu müssen. Latenzschutz zu genießen. Daraus sollte man etwas lernen für die nächsten Formen der Krisenbewältigung, denn der Krisenmodus scheint nicht wirklich geeignet zu sein, um Krisen zu meistern.“ (mbu)
Armin Nassehi: Unbehagen. Theorie der überforderten Gesellschaft. Verlag C.H.Beck, München 2021, 384 Seiten, 26 Euro
Welt des Faschismus
Vor und während des Zweiten Weltkriegs strebten die sogenannten Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan eine Neuordnung der Welt an. Die Macht sollte gleichberechtigt zwischen den Staaten aufgeteilt werden. In der Forschung wurde die Achse Berlin – Rom – Tokio bislang nur wenig untersucht, dabei häufig als „inhaltsleere, wirkungslose Allianz“ beschrieben. In seinem Buch Die Achse wagt der LMU-Historiker Daniel Hedinger eine Neuinterpretation. Er beschreibt dabei nicht nur die Bestrebungen der drei Staaten, die globale Macht zu gewinnen, sondern auch die zugrunde liegende, innere Dynamik hinter dem Traum einer faschistischen Weltordnung. Erst das komplexe trilaterale Beziehungsgeflecht habe „faschistische Diplomatie, Kriegsführung und Imperialismus scheinbar mustergültig zu einem groß angelegten Neuordnungsentwurf“ verbunden. Deutscher Nationalsozialismus werde „häufig als sui generis verstanden und daher isoliert vom Rest der Welt betrachtet“, so Daniel Hedinger. Der Historiker zeigt, dass Faschismus nicht nur ein auf Europa beschränktes Projekt war, sondern als globales Phänomen zu betrachten sei. Hedinger wählt für seine Analyse denn auch gezielt eine transimperiale Perspektive. (jr)
Daniel Hedinger: Die Achse. Berlin – Rom – Tokio. Verlag C.H.Beck, München 2021, 546 Seiten, 29,95 Euro
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