75 Jahre Institut für Bayerische Geschichte

Von US-Generalkonsuln und Herzögen im Ruhestand

Weitere Artikel aus diesem Magazin

Das renommierte Institut für Bayerische Geschichte der LMU wird 75. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, steht es für die Vermittlung eines fundierten Wissens, es steht für demokratische Grundsätze, Internationalität und für die Forschung auch zu interessanten Personen der Geschichte.

München ist international. Und nicht erst durch den wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen Dekaden. Internationalität ist nicht nur prägend für das bayerische Jetzt. Sie ist auch tief in Geschichte und Kultur des größten Landes der Bundesrepublik eingeschrieben. „Eine über Jahrhunderte in Europa verflochtene Kultur ist ein Wesenselement der Geschichte Bayerns“, sagt Professor Ferdinand Kramer, einer der beiden Direktoren des Instituts für Bayerische Geschichte. „Diese gilt es im europäischen und internationalen Austausch zu erschließen.“ Genau um diese Arbeit zu leisten, wurde das Institut 1946 gegründet: Es sollte ein geistiges Fundament sein für den neuen Freistaat und die junge Demokratie nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Gewaltherrschaft.

Weltoffenheit wird also großgeschrieben und groß ist auch das Reise- und Austauschprogramm des Instituts. So werden den Studierenden Exkursionen etwa zu Forschungseinrichtungen in Universitäten, Bibliotheken oder Archiven in Florenz, Paris, London oder sogar Washington geboten, wo ein enormer Aktenfundus zur Besatzungs- und Nachkriegszeit auf die Erschließung durch Forschende aus München wartet.

So auch auf Kathleen Siemermann, die erst jüngst aus Stanford zurückgekommen ist und Quellen aus den USA benötigt, um ihre Dissertation über das US-amerikanische Generalkonsulat in München anzufertigen. „Ein sehr breites und spannendes Thema“, sagt die Promotionsstudentin. Im Fokus ihrer Arbeit steht die Geschichte der US-Vertretung von den 1920er-Jahren bis in die späten 1970er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. „Interessant ist eine gewisse personelle Kontinuität der Beziehungen, die sich von der Weimarer Zeit bis nach dem Zweiten Weltkrieg erstreckt“, konstatiert Siemermann. Fest macht sie das am Beispiel des US-Konsuls Robert Murphy, der schon vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in München war, den Hitlerputsch erlebte und hier ab 1945 als höchster Repräsentant des State Departments in Deutschland wirkte. „Er hat die alten Kontakte wieder aufleben lassen und den Wiederaufbau begleitet.“ Sie unterstreicht: „Bayerische Geschichte im 20. Jahrhundert kann man nicht singulär denken. Sie ist eingewoben in die Geschichte der Bundesrepublik, Europas und der Welt.

Diversifizierung von Macht als Leitgedanke
Gleichsam geistig-kulturellen Wiederaufbau sollte denn auch das Institut für Bayerische Geschichte leisten, das kurz nach dem Krieg unter der Ägide des bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner und des Landeshistorikers Max Spindler seine wissenschaftliche Arbeit aufnahm. Im zerbombten München war das Institut zunächst zusammen mit dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv und in der Nachbarschaft des Amerikahauses im sogenannten Braunen Haus untergebracht – der ehemaligen Nazi-Parteizentrale in München. „Der christliche Humanismus in der Person Spindlers und der sozialistische Humanismus Hoegners sind gewissermaßen ein Bündnis eingegangen“, erläutert Ferdinand Kramer. Geleitet wurden die Gründerväter von der Überzeugung, dass die Demokratie eine Diversifizierung von Macht und vielfältige bürgerschaftliche Beteiligung und Mitgestaltung benötige. „In diesem Geist sollten junge Menschen studieren.“

Für das Studium bietet die Konstellation von Institut und Hauptstaatsarchiv in einem Gebäude optimale Bedingungen – auch am jetzigen Standort in der Ludwigstraße 14. Die Studierenden können sich schon früh in der Arbeit mit archivalischen Quellen üben. „Sie bekommen zum Beispiel einen Akt zur Verfügung gestellt, den sie im Rahmen eines Referats bearbeiten.  Dabei sind schon ganz viele Entdeckungen gemacht worden“, erläutert Ferdinand Kramer.

Klischees werden schnell abgebaut
Auch für Tassilo Soos, der wie Kathleen Siemermann am Institut seine Dissertation verfasst, ist der schnelle Zugang zu wichtigen Quellen ein großer Vorteil. Protagonist seiner Dissertation ist Herzog Wilhelm V. von Bayern, der sich schon früh zur Ruhe setzte, und somit länger Rentner als an der Macht war. „Ich untersuche, was er, befreit von Regierungsarbeit, getan hat, ob er nicht doch noch die Finger in der Regentschaft seines Sohnes hatte.“ Schließlich, sagt Soos, habe der Herzog weiter vielfältige, auch internationale Netzwerke unterhalten. Der Historiker verfolgt dabei verschiedene Szenarien: Wurde ihm der Rücktritt nach fast 20 Regierungsjahren aufgrund eines drohenden Staatsbankrotts nahegelegt? Oder hatte er einfach keine Lust mehr zu regieren? Letzteres hält Soos für nicht abwegig: „In Wilhelms erhaltenen Briefen gibt es eine ganze Reihe von Hinweisen, aus denen hervorgeht, man solle ihn mit Regierungsgeschäften in Ruhe lassen. Stattdessen hat er sich musischen Interessen gewidmet, Reliquien oder Schildkröten gesammelt und sich verschiedene Alterssitze eingerichtet.“

Tassilo Soos hat sich für ein Studium am Institut entschieden, weil „bayerische Geschichte mich am meisten interessiert hat“. Der Münchner schätzt den Austausch mit den anderen Promovierenden und die Arbeitsbedingungen.

„Natürlich ist das Klischee von Lederhose und Wirtshaus da, wenn man sagt, man studiert bayerische Geschichte“, sagt Tassilo Soos. „Aber es geht eben um Vernetzung, Austausch und einen thematisch breiten Fokus.“ Auch Kathleen Siemermann, die aus dem niedersächsischen Hildesheim stammt, sieht das so. „Man zeigt ja gerade, dass die Landesgeschichte immer in größeren Kontexten zu sehen ist. Ich habe auch erst gedacht – ok, bayerische Geschichte. Das schaue ich mir jetzt erstmal an. Wenn man sich damit beschäftigt, fällt jedes Klischee sehr schnell.“

Siemermann möchte nach der Dissertation in der Wissenschaft bleiben, könnte sich alternativ aber auch vorstellen, in den Bereich der Politikberatung zu gehen.  

Denn auch das Institut für Bayerische Geschichte ist als Beratungsinstitution sehr gefragt. „Wir haben viele Nachfragen aus staat-lichen und kommunalen Einrichtungen, von den Medien und einer interessierten Öffentlichkeit –, das lässt sich bisweilen neben den Aufgaben in Forschung und Lehre nur schwer bewältigen“, sagt Ferdinand Kramer.

Auch wenn es nicht ganz leicht zu finden ist – außen am Gebäudekomplex in der Ludwigstraße findet sich nur der Hinweis auf das Hauptstaatsarchiv –, das Institut für Bayerische Geschichte steht seit 75 Jahren für den öffentlichen Diskurs über Bayern in seiner internationalen Vernetzung.

cg

diesen Artikel teilen:

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

News

Neue Impulse für die Lehre

Neue Impulse für die Lehre

Digitalisierungsschub fürs Studium

Potenziale digitaler Lehre?

Hochschulen leben von Präsenz

Potenziale digitaler Lehre?

Inklusionstutoren der LMU

Inklusionstutoren der LMU

„Unser gemeinsames Ziel 
verbindet uns!“

Frischekur für Zackelschaf, Pinzgauer und Co.

Statuettensammlung der Tiermedizin

Frischekur für Zackelschaf, Pinzgauer und Co.

Klimaschutz als Lehrstoff

LMU macht Schule

Klimaschutz als Lehrstoff

3. Bayerische Ernährungsstudie

Weiß-blau essen

Im Behandlungsbus 
an den Rand der Gesellschaft

Soziales Engagement an der LMU

Im Behandlungsbus 
an den Rand der Gesellschaft

Die Kämpferin 
für Bildungsgerechtigkeit

Ceren-Latife Tas engagiert sich bei Arbeiterkind.de

Die Kämpferin 
für Bildungsgerechtigkeit

Politikwissenschaftlerin Sarah Kampf 
klettert an Naturfelsen

Politikwissenschaftlerin Sarah Kampf 
klettert an Naturfelsen

Den Fels entschlüsseln

Das LMU-Magazin

Studentisches Engagement

Ein Stück weit die Welt verbessern

2024 - Nr.1

Wie künstliche Intelligenz Lehre und Lernen verändert

Im Dickicht der Algorithmen

2023 - Nr.3

Stiftungen an der LMU

Gezielte Förderung für Studierende

2023 - Nr.2

Spin-offs der LMU

Gründen mit akademischem Rückgrat

2023 - Nr.1

Belastungen im Studium

die Ängste Besiegen!

2022 - Nr.3

DigitalisIerungsschub fürs Studium

Neue Impulse für die Lehre

DigitalisIerungsschub fürs Studium

2022 - Nr.2

Belletristik statt Papers

Wenn Forschende gute Geschichten erzählen

2022 - Nr.1

Podcasts der LMU

Infoteachment für die Ohren

2021 - Nr.3