Gemeinsam besser zum Ziel
Wie aus mehreren Menschen ein Team wird

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„Der Mensch ist ein hyperkooperatives Wesen“, sagt der Organisationspsychologe Felix Brodbeck, der die Mechanismen der Teamarbeit untersucht und als Professor selbst ein Team leitet. Foto: Oliver Jung

Teambuilding funktioniert bisweilen ganz automatisch. Felix Brodbeck bittet darum, sich dafür gedanklich in einen Fahrstuhl zu begeben. „Man stelle sich vor, darin befänden sich drei Menschen“, sagt der Wirtschafts- und Organisationspsychologe. „Viele grüßen sich in so einer Situation nicht und vermeiden den Augenkontakt. Auf engem Raum mit meist fremden Menschen geht man eher auf Distanz.“ Dann bleibt der Aufzug stecken. Spätestens jetzt werden sich die drei Menschen anschauen und besprechen, wie sie gemeinsam aus dem Fahrstuhl herauskommen. „In diesem Moment werden sie zum Team“, sagt Brodbeck, und liefert die wissenschaftliche Definition gleich mit: „Ein Team ist dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Menschen ein gemeinsames Ziel verfolgen und dabei interagieren.“

Arbeitsteilig miteinander gearbeitet wird überall: In Bürotürmen, Fabrikgebäuden und auf Fußballplätzen, in Dörfern und Städten, in Deutschland genau wie in Nordamerika oder Südostasien. Felix Brodbeck befasst sich seit Jahrzehnten damit, was Menschen in einer Organisation erfolgreich macht und was sie hemmt. Gerade nach einer so einschneidenden Erfahrung wie der Coronapandemie weiß der LMU-Forscher auch aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, sein Team nach langer Zeit wieder persönlich um sich zu haben.

Ein Team ist kein Selbstläufer

Doch wie das Beispiel mit dem Aufzug zeigt, ist ein Team kein Selbstläufer. Neben einem gemeinsamen Ziel entscheiden noch weitere Faktoren darüber, ob Teams gute Ergebnisse erzielen und dessen Mitglieder mit Freude bei der Sache sind. „Im Wesentlichen halten drei Kräfte ein Team zusammen“, erklärt Brodbeck. Erstens: Die interpersonelle Attraktivität ist vorhanden, sprich: Die Menschen verbringen gerne Zeit miteinander. Zweitens: Sie empfinden ihre gemeinsame Aufgabe als attraktiv und haben Lust darauf, das gesteckte Ziel zusammen zu erreichen. Und drittens: Sie kommunizieren miteinander, und zwar lieber zu viel als zu wenig. Wirken alle drei Kräfte zusammen, spricht man von Gruppenkohäsion. 

In der Realität kann diese Gruppenkohäsion unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Manche Teams verlängern den gemeinsamen Tag nach Feierabend in der Kneipe, weil sie so viel Spaß zusammen haben. In anderen Gruppen kommt es regelmäßig zu Konflikten oder es wird manchmal gar nicht miteinander gesprochen. „Wie hoch oder gering die Kohäsion ist, beeinflusst zum Beispiel, als wie stressig die Arbeit empfunden wird und wie viele Menschen das Team verlassen wollen“, sagt Brodbeck. In seiner Forschung über Projektarbeit in Multi-Team-Systemen (z.B. Softwareentwicklung), konnte er zeigen, dass die Gruppenkohäsion für ein gemeinsames Verständnis von Regeln und Normen von besonderer Bedeutung ist.

„Für mich bedeutet Führung vielmehr, andere auf eine Reise mitzunehmen.“

Es lohnt sich für Organisationen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht als Einzelkämpfer arbeiten zu lassen, sondern zu einem Team zu formen: So zeigten Wissenschaftler aus Münster vor einigen Jahren, dass die Schwimmer bei den Olympischen Spielen 2008 im Staffelwettbewerb deutlich bessere Leistungen erzielten als in der Einzeldisziplin: Dieser Effekt zeigte sich allerdings nur, wenn sie an letzter Position schwammen und ihre Leistung über die Platzierung aller entschied: Dann ist die Verantwortung für den Einzelnen besonders erlebbar und führt zu „motivationalen Synergieeffekten“. Schon 1898 beobachtete Triplett, dass Radrennfahrer schneller sind, wenn sie mit andere fahren als gegen die Uhr (das sog. Schrittmacherphänomen). 

Wirken mehrere Menschen mit ihren individuellen Stärken an einem Projekt mit, kann das Ergebnis besser sein als die Summe der Einzelleistungen. Die Fähigkeit und die Bereitschaft, voneinander zu lernen, und die Extra-Portion an Motivation, die die Arbeit in der Gemeinschaft freisetzt, machen dabei den Unterschied aus. „Es kommt in Teams zwar immer wieder auch zu Prozessverlusten, zum Beispiel in Form von langwierigen Diskussionen“, sagt Brodbeck. 

Schon in seiner Habilitation – mit dem englischen Titel „Synergy is not for free!“ –  hatte der Psychologe betont, dass es erhöhter Aufmerksamkeit und besonderer Anstrengung bedarf, um Synergien zu erzielen, die über die gleichzeitig wirkenden Prozessverluste hinausgehen.“ Um Prozessgewinne zu maximieren, ist es beispielsweise sinnvoll, dass das gleiche Team öfter die Gelegenheit bekommt, ähnliche Aufgaben zu erledigen, so ein Fazit aus seinen Studien, in denen die Wirkungen individueller und kollektiver Lernprozesse auf die Produktivität von Individuen und Gruppen als Ganzes untersucht wurden. 

Führung ist für das Team entscheidend

Und noch etwas brauche ein Team, um zu funktionieren, sagt Brodbeck: „Ein Team organisiert sich nicht von selbst, es benötigt Führung“, betont er, und fügt lächelnd hinzu: „Auch wenn so manches Start-up davon nichts hören will.“ Gemeinsam mit seinen Studierenden, die sich in der studentischen Unternehmensberatung engagieren, habe er schon öfter mit Entrepreneuren zu tun gehabt, die ungewöhnliche Organisationsmodelle ohne klassische Hierarchien ausprobieren wollten – also ohne Führung? Darin liegt für Brodbeck ein Denkfehler: „Man kann in Teams auf hierarchische Formen der Führung verzichten, aber es muss trotzdem „geführt“ werden“, sagt er. „Das bedeutet jedoch nicht, dass eine bestimmte Person alleine führt und alle Führungsaufgaben übernimmt.“ 

Teilen sich die Mitglieder eines Teams unterschiedliche Führungsaufgaben untereinander auf, so findet bereits Teamführung statt. Auch die Mitglieder einer Gruppe, sagt Brodbeck, könnten „einander beeinflussen, motivieren und sich gegenseitig befähigen, zur Effektivität und Arbeitsfähigkeit der Gruppe beizutragen“ – also das tun, was Führung per Definition ausmacht. Doch unabhängig davon, ob am Ende eine, einer oder mehrere eine Organisation oder eine Gruppe in Bewegung setzen und ihr Richtung geben: Von der Vorstellung einer allmächtigen einzelnen Führungskraft hält Brodbeck ohnehin nicht viel. „Für mich bedeutet Führung vielmehr, andere auf eine Reise mitzunehmen.“

„Corona traf bestehende Teams wie eine Blutgrätsche“

Vor drei Jahren passierte etwas, das selbst den Alltag in Organisationen mit noch so hoher Gruppenkohäsion, noch so stark ausgeprägten Synergien und noch so funktionierender Führung auf den Kopf stellte. „Corona traf bestehende Teams wie eine Blutgrätsche“, formuliert es Brodbeck. Ein Team lebt auch davon, dass in der Teeküche oder auf dem Flur das sogenannte „transaktive Wissen“ aktiviert wird. Das ist jenes Wissen, über das eine Gruppe als Ganzes verfügen kann, dass jedoch erst durch Transaktionen (Austausch) für jeden Einzelnen verfügbar wird: Wo Menschen mit verschiedenen Qualifikationen, Perspektiven und Gedächtnisinhalten zusammenarbeiten, wird das Wissen Einzelner für andere oder alle Teammitglieder erst dann zugänglich – wenn sie miteinander kommunizieren. 

Klar, miteinander gesprochen wurde und wird spätestens seit der Pandemie auch über Zoom, Teams oder andere bewährte Software-Helfer. „Doch spontane Treffen, aus denen kreative Ideen erwachsen, lassen sich nur schwer in den digitalen Raum verlegen“, sagt Brodbeck. Plötzlich hing es auch von der Technikaffinität der Teammitglieder ab, ob sie noch regelmäßig miteinander in Kontakt traten oder alleine vor sich hinarbeiteten. 

Eine Säule der Gruppenkohäsion, die Kommunikation, geriet in vielen Organisationen während der Corona-Krise ins Wanken – und sie wankt bis heute, wenn man bedenkt, dass vielerorts weiterhin von zuhause aus oder hybrid gearbeitet wird. „Den Führungskräften kommt die Aufgabe zu, stets Offenheit zu signalisieren und für einen persönlichen Austausch ansprechbar zu sein“, sagt Brodbeck. „Außerdem müssen sie die Menschen im Blick haben und auf einzelne zugehen, wenn sie das Gefühl haben, sie ziehen sich zurück.“

Den Austausch fördern

Auch untereinander können die Teammitglieder den Austausch fördern, sagt Brodbeck. Denn: „Ganz ohne direkten Kontakt geht es nicht.“ Zwingend im gleichen Raum befinden müsse man sich dabei allerdings nicht. Unter direktem Austausch versteht Brodbeck schon, wenn man sich nicht nur bei der gemeinsamen Videokonferenz in der großen Gruppe zunickt, sondern im Anschluss bei regelmäßigen Telefonaten zu zweit weiterredet.

Ein Rezept, wie oft man sich als Team persönlich vor Ort sehen sollte, gibt es für den Organisationspsychologen nicht – eine Tendenz aber schon: „Zu Beginn eines Projekts müssen die Teammitglieder erst einmal Vertrauen zueinander fassen, wozu persönliche Treffen erwiesenermaßen beitragen“, sagt Brodbeck. Später könne die Kommunikation auch über Videoschalten oder E-Mails stattfinden, zumindest größtenteils. „Spüren die Führungskraft oder die Teammitglieder, dass die Gruppenkohäsion abnimmt, sollten sie mit einem persönlichen Treffen versuchen gegenzusteuern“, rät der Wissenschaftler.


Brodbeck selbst sieht die Arbeitswelt nach der Pandemie differenziert. Es habe ihn überrascht, wie gut sich einige Sitzungen im Uni-Kontext virtuell abhalten ließen. „Und es hat schon was, an einem Montagmorgen zuhause in die Arbeitswoche starten zu können“, sagt er. Gleichzeitig erfülle es ihn mit Freude, in der Lehre nach drei Jahren „endlich wieder unter Menschen zu sein“ und zu sehen, wie viel das den Studierenden bedeutet. Seine Forschung wird Brodbeck auch in Zukunft auf Konferenzen präsentieren und sich dort mit Wissenschaftlern aus aller Welt austauschen. Er rechnet aber auch damit, dabei öfter als früher vor dem Laptop zu sitzen.

Doch eins steht für Felix Brodbeck fest: Egal wann, egal wo, Menschen werden sich immer zu Teams zusammenfinden. „Der Mensch ist ein hyperkooperatives Wesen“, sagt Brodbeck. Ohne Arbeitsteilung und genaue Absprachen hätten die Ägypter vor mehr als 4.500 Jahren wohl kaum die Pyramiden von Gizeh bauen können. Sich auf jemand anderen zu beziehen, mit ihm zu interagieren, „das macht uns zum Menschen. Was denn sonst?“

Felicitas Wilke

Prof. Dr. Felix Brodbeck ist seit November 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der LMU München. Davor leitete er die Work- and Organisational Psychology Unit an der Aston Business School, Aston University (UK) als Chair of Organisational and Social Psychology. Brodbeck hat neben zahlreichen wissenschaftlichen Fachartikeln acht Bücher und eine Buchreihe zur Wirtschaftspsychologie veröffentlicht. 

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