Regionale Besonderheiten fallen einem bei der Frage „Was isst Bayern?“ ebenso ein wie Einflüsse der Küche anderer Länder und Kontinente. Immer wieder gibt es Modetrends, ob Paleo-Ernährung, auch „Steinzeitdiät“ genannt, oder Low-Carb-Gerichte. Wie sich das in den Essgewohnheiten tatsächlich niederschlägt, lässt sich meist nur vermuten. „Wir wollen genau wissen: Was wird gegessen und wie viel davon, wo wird es gegessen, wie ernähren sich Veganer und Vegetarier, wie die Mischköstler, wie viel Alkohol wird getrunken, wo kommt das Essen her, wie nachhaltig ist es und wie gesund?“, sagt Professor Jakob Linseisen, Inhaber des Lehrstuhls für Epidemiologie an der Medizinischen Fakultät der LMU und der Universität Augsburg.
Er ist maßgeblich an der 3. Bayerischen Ernährungsstudie beteiligt, die vom Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Auftrag gegeben wurde und genau diese Daten liefern soll. Sie begann im Herbst 2021 und dauert noch an. Nach der Auswertung wird man auch wissen, wie viel Superfood wirklich verzehrt wird – ob es hält, was es vermeintlich bewirkt, lässt sich laut Jakob Linseisen allerdings mit dieser Studie nicht nachweisen.
Basis für politische Entscheidungen
Der Epidemiologe arbeitet dabei eng mit der Arbeitsgruppe Public Health Nutrition (AG PHN) des ZIEL (Institute for Food & Health) der Technischen Universität München unter Leitung von Professor Kurt Gedrich zusammen. An der TUM werden schwerpunktmäßig Veränderungen des Ernährungsverhaltens analysiert, um Konzepte für gesunde und nachhaltige Ernährung zu entwickeln. Die Gesamtkoordination schließlich liegt beim Kompetenzzentrum Ernährung (KErn) des Landesamts für Landwirtschaft, das dem Agrarministerium unterstellt ist. Auch die Politik will dringend mehr über aktuelle Verzehrgewohnheiten, Nährstoffzufuhr und das Risiko ernährungsbedingter Erkrankungen wissen, um daraus gesundheits- und ernährungspolitische Maßnahmen abzuleiten.
Um valide Daten zu liefern, haben die Organisatoren ein „aufwendiges Studiendesign“ ausgearbeitet, wie Linseisen erläutert. Zunächst wurden über Einwohnermeldeämter per Zufall mögliche Kandidatinnen und Kandidaten ausgewählt und eingeladen, bei der Studie mitzumachen. So findet man schließlich in ganz Bayern 1.500 Probanden und Probandinnen, die zunächst vor Ort interviewt werden und einen Fragebogen ausfüllen müssen. Sie wurden und werden dann später drei Mal an zufällig ausgewählten Tagen angerufen und müssen genau angeben, was sie am Vortag gegessen und getrunken hatten, wo sie Speisen und Getränke gekauft hatten und nach welchen Kriterien (etwa ein bestimmtes Label) sie die Wahl trafen.
Fokus auf Stoffwechselkrankheiten
Das Forschungsinteresse von Jakob Linseisen liegt dabei besonders auf Stoffwechselkrankheiten. Dazu führt er die Zusatzstudie MEIA durch, wobei MEIA für Metabolismus (also Stoffwechsel), Ernährung und Immunsystem steht. Weil es eine sehr aufwendige Studie ist, blieb sie in räumlicher Nähe zur dortigen Uniklinik auf die
Region Augsburg beschränkt, insbesondere um eine genaue Untersuchung der Immunzellen direkt durchzuführen. Bei den Teilnehmenden werden neben Blut auch Urin und Stuhlproben gesammelt, und sie erhalten die Möglichkeit, an verschiedenen Messungen und Untersuchungen teilzunehmen; neben Größe, Gewicht und Taillenumfang werden auch der Energieumsatz sowie das Lebervolumen bestimmt und ein oraler Blutzucker-Toleranztest durchgeführt – der, so Professor Linseisen, Auskunft gibt, ob der Glucose-Stoffwechsel „in Ordnung oder auf dem Weg zum Diabetes ist“.
In der MEIA-Zusatzstudie wird untersucht, welchen Einfluss Ernährung oder Ernährungsfaktoren auf das Immunsystem und auf die Infektanfälligkeit haben. „Dass diese Frage durch Corona so aktuell wird, war zu Beginn der Studie nicht abzusehen“, sagt Prof. Linseisen. „Corona wirbelt das Immunsystem ordentlich durch“. Er habe deshalb frühzeitig begonnen, Impfstatus und Infektionen in die Untersuchungen einzubeziehen.
CO2-Bilanz des Lebensmittelverbrauchs
Sein Fokus als Ernährungs-Epidemiologe liege jedoch auf den Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas, also Fettleibigkeit, und Diabetes. „Wir wollen für Bayern wissen: Wie viel Prozent der Bevölkerung sind davon oder von einer Vorstufe betroffen?“ Kausale Faktoren für den Einfluss bestimmter Nahrungsmittel auf die Gesundheit könne die Studie nicht nachweisen, sie könne aber Zusammenhänge aufzeigen, die dann mit anderen Studien bestätigt werden müssen. Welchen Einfluss zum Beispiel ein hoher Konsum von Wurst oder Fleisch auf die Infektanfälligkeit hat, wird analysiert.
Die Ergebnisse der Studie werden zeigen, ob die Ernährung in Bayern in die gesundheitsfördernde und immer wichtiger werdende nachhaltige Richtung geht, welche Faktoren Kaufentscheidungen beeinflussen und welche Food Labels beachtet werden.
„Wir können auch Angaben über Wasserverbrauch und CO2-Bilanz der der konsumierten Lebensmittel aufaddieren und bewerten“, sagt der Wissenschaftler. Diese aktuellen Ernährungs-daten können Politik, Wissenschaft oder Fachverbände nutzen, um Gesundheit-s-probleme, die durch Ernährung mitbedingt werden, zu verringern und zugleich die Ernährung regionaler und nachhaltiger zu gestalten. Die Ergebnisse werden im Frühsommer 2023 vorliegen. Dann zeigt sich, wie Bayern wirklich isst. fue
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