Schülerinnen und Schüler einer Grundschule bei einer Klimademonstration.
„Fridays for Future“ war ein unüberhörbarer Weckruf. Nachhaltig geht aber noch mehr, nämlich, wenn Klimaschutz Lehrstoff in der Schule wird. Genau das praktizierten Professorin Julia Pongratz und ihre Arbeitsgruppe schon vor der Coronapause. Daran knüpft die Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geografie und Landnutzungssysteme an der LMU nun mit einem neuen Klimaprojekt an.
„Wir brauchen eine neue Generation von Bürgern und von Forschern, die viel integrativer denkt, als wir das bislang taten. Denn um Maßnahmen gegen den Klimawandel effizient und nachhaltig umzusetzen, muss gleichzeitig bewertet werden, was ökologisch und ökonomisch sinnvoll, gesellschaftlich gewollt und politisch umsetzbar ist“, sagt Professorin Julia Pongratz. „Wir müssen die junge Generation in diesem Sinne ausbilden und ihr das Handwerkszeug geben, das nötig ist, um die globalen Herausforderungen zu lösen. Deswegen gehen wir in die Schulen.“
Umweltbildung praktiziert Pongratz schon länger, und Unterrichtsstoff soll auch ihr neues Projekt werden: Welche Möglichkeiten gibt es, um das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre zu holen und dauerhaft zu speichern?
Denn es genüge nicht mehr, den Ausstoß anthropogener Treibhausgase drastisch zu reduzieren, wenn die vor sechs Jahren im Klimaabkommen von Paris gesteckten Reduktions-ziele erreicht werden sollen. Unter-brochen nur von der Pandemie, war der Ausstoß an Treibhausgasen weiter gestiegen. Dazu kommen schwer vermeidbare Emissionen etwa aus der Landwirtschaft, die ausgeglichen werden müssen, um das „Netto-Null-Ziel“ zu erreichen. „Zusätzlich zu sofortigen und tiefen Einschnitten im Ausstoß von Treibhausgasen brauchen wir negative Emissionen“, sagt Prof. Pongratz, „also CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre.“
Das seien neue Entwicklungen und Erkenntnisse der letzten Jahre, so die Klimaforscherin, und deswegen „auch ein Fokus, den wir an die Schulen bringen wollen, weil sie in den Lehrplänen noch nicht verankert sind.“ Dieses komplexe Thema knüpfe an das bisher vermittelte Wissen an. Damit sollten die Grundlagen dafür gelegt werden, Antworten auf die Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte zu finden. „Das sind wir der nächsten Generation schuldig, die ja am wenigsten Anteil an den Ursachen des Klimawandels hat.“
Ohne Achtsamkeit keine Lösung von Zielkonflikten
Um alle Möglichkeiten zu erforschen, wie CO2 der Atmosphäre entnommen und gespeichert werden kann, koordiniert Julia Pongratz das vom Bundesforschungsministerium mit rund 20 Millionen Euro geförderte Programm CDRterra, wobei CDR für „Carbon Dioxide Removal“ steht, an dem bundesweit über 100 Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen beteiligt sind und ein enger Dialog mit der Öffentlichkeit gepflegt wird. Dieser neue Forschungsansatz begleitet einen Umschwung in der gegenwärtigen politischen Klimadebatte.
Die Bundesregierung hat das Ziel gesteckt, den Ausstoß an klimaschädlichen Gasen kontinuierlich zu senken und bis 2045 Treibhausgas-Neutralität zu erreichen. Bis 2050 sind sogar insgesamt negative Emissionen geplant – mehr Aufnahme als Ausstoß also.
Zur Aufnahme von CO2 sollen vor allem naturbasierte Senken beitragen, etwa die Aufforstung von Wäldern oder das Anpflanzen von Bioenergieplantagen sowie das anschließende Abscheiden und langfristige Speichern des CO2. Wie der menschengemachte Klimawandel funktioniert und wie es so weit kam, dass solche Maßnahmen zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre als Notwendigkeit des Klimaschutzes akzeptiert wurden, dazu haben Julia Pongratz und ihre Arbeitsgruppe an vielen Münchner Schulen Vorträge gehalten und mit Schülerinnen und Schülern sowie Lehrenden diskutiert.
Darauf baut nun die Vermittlung des Konzepts der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre auf. Nach den Worten von Julia Pongratz ist es zwingend, vor einer Umsetzung von Maßnahmen zur CO2-Entnahme Risiken und Nebeneffekte umfassend zu bewerten.
Ohne Achtsamkeit können Zielkonflikte zwischen Klimaschutz und den vielen anderen Funktionen von Ökosystemen, wie Nahrungsmittelanbau, Regulierung der Wasserflüsse oder Tourismus, auftreten. Auch die Permanenz der Speicherung muss umsichtig analysiert werden, etwa weil angepflanzte Wälder und Plantagen Folgen des Klimawandels wie Dürren und Hitzewellen nicht standhalten und den gespeicherten Kohlenstoff wieder an die Atmosphäre abgeben könnten. Nicht zuletzt müssten rechtliche Fragen der Umsetzung geklärt sein, ebenso wie Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz und politischen Machbarkeit.
Viele der Maßnahmen zur CO2-Entnahme sehen eine Speicherung nicht in Feldern, Wäldern oder Holzprodukten vor, sondern scheiden das CO2 technisch aus der Luft oder in den Kraftwerken ab und speichern es anschließend in geologischen Reservoirs. Bei vielen Menschen sei noch die Erinnerung an die politisch umstrittenen Vorschläge solcher CCS-Projekte („Carbon Capture and Storage“) wach: Abgetrenntes Kohlendioxid sollte in Kavernen deponiert werden, wie Bergwerken oder unterirdischen Salzformationen. Doch, so die Forscherin, „niemand möchte einen CO2-Speicher in seinem Hinterhof haben.“
Jugendliche für die Herausforderung Klima-wandel gut rüsten
Für die Wissenschaftlerin ist es wichtig, dieses Wissen um Notwendigkeiten, Chancen und Risiken schon in der Schule zu vermitteln. Die Umsetzung dieses zweiten Schritts hat sie in die Hände von Dr. Sally Soria-Dengg und Dr. Christian Hoiß gelegt. Sie entwickelten unterschiedliche Arten von Unterrichtsmaterialien, sagt Soria-Dengg, die für Lehrkräfte sowie Studierende des Lehramts bestimmt seien. Denn das Thema Kohlendioxidentnahme aus der Atmosphäre als zusätzliche Maßnahme zur Erreichung des 2-Grad-Zieles ist ziemlich neu und wird in den Schulen noch nicht behandelt. Als wichtige Verbindung zwischen neuen Erkenntnissen aus der Wissenschaft und Schülerinnen und Schülern sollen Lehrkräfte aber gezielt informiert werden, um ihrerseits die Jugendlichen für die Herausforderungen des Klimawandels gut zu rüsten. Sally Soria-Dengg ist ganz optimistisch: Schon im nächsten Schuljahr sollen die Lehrer-Fortbildungen beginnen und die Unterrichtsmaterialien in den Schulen angewendet werden.
fue
ν https://www.story.lmu.de/klimawandel-landnutzung/
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