Vor 50 Jahren wurden die Fachhochschulen in Deutschland gegründet – damals als Nachfolgeeinrichtungen von Ingenieurschulen und höheren Fachschulen; mit einem klaren Fokus auf eine anwendungsbezogene wissenschaftliche Qualifizierung. Traditionell ist die Ausbildung zum deutschen Ingenieur mit dem damaligen Fachhochschulstudium verbunden; circa zwei Drittel der deutschen Ingenieure haben an einer Fachhochschule – heute Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) studiert.
Der Anwendungs-bezug eines Studiums an einer HAW wird traditionell in interaktiven Lehrformaten gepflegt – kleinen Gruppen mit inten-sivem Austausch zwischen Dozierenden und Studierenden sowie Praktika und Laborarbeiten. Die Corona-Pandemie stellte dieses Qualifizierungskonzept vor enorme Herausforderungen – und das von heute auf morgen. Der Vorlesungsbeginn der HAWs für das Sommersemester ist traditionell der 15. März – und genau eine Woche vor dem Start des Sommersemesters 2020 haben Politik und Hochschulen beschlossen, den Studienbetrieb nicht mehr in Präsenz durchzuführen.
Wie also umgehen mit dieser Situation? Digitale Lehrveranstaltungen wurden bis dahin nur in geringem Umfang als Ergänzung der Präsenzlehre angeboten. Auf Ebene der HRK wurde ein „Null“-Semester diskutiert. Dem erteilten die HAWs sehr schnell eine Absage – denn Bildung darf trotz Pandemie nicht ausgesetzt werden, sondern muss besonders in Zeiten von Lockdowns und Kontaktbeschränkungen Angebote liefern. Und so stellten die HAWs innerhalb von wenigen Tagen ihren Veranstaltungsbetrieb von Präsenz auf Digital um. Ein Kraftakt – denn weder die erforderlichen Konferenzsysteme noch die Qualifizierung der Dozentinnen und Dozenten waren vollumfänglich vorhanden. Der erste Schritt der Hochschulen war die Beschaffung von ausreichend zumeist Zoom-Lizenzen. Und Dozierende wurden schnell geschult, um mit diesen Systemen zu arbeiten. Das eröffnete Studierenden die Möglichkeit des Wissens- und Kompetenzerwerbs durch Online-Angebote. Am Ende konnten bereits im Sommer-semester 2020 80 bis 90 Prozent der Leistungsnachweise der Vorjahre erbracht werden. Ein Erfolg der Online-Lehre, die das zunächst unter Zeitdruck behelfsmäßig implementierte Digitalangebot mit fortschreitender Zeit professionalisierte. Neben Vorlesungen in Zoom, die gegenüber der Standardvorlesung kaum einen Mehrwert boten und den Dozentinnen und Dozenten ebenso wie den Studierenden sehr schnell mit dem Blick auf „schwarze Kästen am Bildschirm“ den Spaß an Lehre und Lernen nahmen, wurden zunehmend interaktive Formen der digitalen Lehre eingeführt. So konnten Videos und Quiz sowie Konzepte von „Inverted Classrooms“ die digitale Lehre effizient und spannend machen. Laborarbeiten und Praktika wurden „remote“ durchgeführt. Und zur Unterstützung der Lehrenden baute das damalige DiZ – Zentrum für Hochschuldidaktik der bayerischen HAWs Angebote im Bereich der Qualifizierung für digitale Lehre massiv aus.
Hochschulen leben davon, Orte der Begegnung und des interaktiven Dialogs zu sein. So ent-wickeln sich Persönlichkeiten. Die Rückkehr auf den Campus, die erst wieder zum Sommer-semester 2022 umfassend möglich war, stellt für die bayerischen HAWs einen wichtigen Schritt dar. Gleichzeitig ist aber klar: Es kann kein einfaches Zurück in eine Vor-Corona-Zeit geben. Die Erfahrungen aus der Krise werden die in-
stitutionelle Identität der bayerischen Hochschulen verändern. In zwei Studien untersuchte das Forschungs- und Innovationslabor Digitale Lehre (FIDL) der HAWs in Zusammenarbeit mit den Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten für Lehre, wie sich Studieren und Lehren angepasst haben. Bereits die erste Studie zu „Hochschullehre in der Post-Corona-Zeit“ aus dem Jahr 2020 hat die Chancen des Digitalisierungsschubs der Corona-Semester angesprochen. Aus der bayernweiten Befragung an den HAWs ging hervor, dass sich Studierende und Lehrende dauerhaft agile Lehr- und Lernsettings wünschen, die die örtlichen und zeitlichen Freiräume digitaler Lehre und persönliche Austauschmöglichkeiten in sich vereinen.
Die Studie „Corona-Bilanz. Studieren. Lehren. Prüfen. Verändern.“ aus dem Jahr 2021 analysiert aufbauend die Situation an bayerischen HAWs nach drei Corona-Semestern. Trotz aller Belastungen ist an den Hochschulen die positive Grundhaltung zur digitalen Lehre und ihren vielfältigen Möglichkeiten weiterhin vorhanden. Gleichzeitig verfügen die Studierenden und Lehrenden über einen starken Wunsch nach persönlicher Begegnung. Reine Online-Lehrangebote oder gar Online-Hochschulen stellen dabei keine Option dar. Die Zukunft der Hochschullehre besteht in der Verknüpfung von Vor-Ort-Angeboten und digitaler Lehre sowie einer Erhöhung der Vielfalt an Lehr- und Lernszenarien. Über digitale Lehrangebote können Freiräume zur Stärkung der Interaktion von Lehrenden und Studierenden geschaffen werden. Voraussetzungen dafür sind auch didaktische Qualifizierungsmöglichkeiten und eine wissenschaftliche Begleitung, wie sie die bayerischen HAWs mit der Gründung des Bayerischen Zentrums für Innovative Lehre (BayZiel) geschaffen haben. Das BayZiel mit Hauptstandort in München wurde mit den Geschäftsfeldern „Lehr- und Lernforschung“ sowie „Bildungsförderung“ über die „Qualifizierung und Didaktik“
hinaus deutlich erweitert.
Auch müssen für die Ausgestaltung der Lehre in der Post-Corona-Zeit die an vielen Hochschulen geschaffenen kurzfristigen Lösungen bei der digitalen Infrastruktur weiter ausdifferenziert und im Verbund ausgebaut werden. Die Etablierung einer Kultur des Teilens, der hochschulübergreifenden Zusammenarbeit und der Bündelung von Kompetenzen gehören hier ebenso dazu wie eine angemessene Ausstattung für Infrastruktur und Personal. Anfang des Jahres haben die bayerischen Universitäten und HAWs eine enge Zusammenarbeit bei der Digitalisierung beschlossen und eine gemeinsame IT-Strategie verabschiedet. Die Unterstützung der Digitalisierungsanforderungen in der Lehre mit Lehr-, Prüf- und Lernmanagementsystemen stellt dabei nur eines von zwölf Handlungsfeldern dar, mit denen sich der ebenfalls neu gegründete Digitalverbund der bayerischen Hochschulen zukünftig beschäftigen wird. Die vorgelegte IT-Strategie unterstützt damit die Digitalisierung aller staatlichen und kirchlichen Hochschulen im Freistaat Bayern und legt den Grundstein für eine umfassende digitale Transformation der Hochschulen.
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