Was verbindet Südosteuropa und Großbritannien? Es ist die Monarchie, sagt Dr. Marc Stegherr, Lehrbeauftragter für südslavische Landeskunde am Institut für Slavische Philologie der LMU. Wo immer er lehrte – ob an den Universitäten Oxford und Cluj in Siebenbürgen –, in verschiedenen Balkanländern forschte oder als Berater für KFOR tätig war – überall entdeckte er Zeugnisse der Verflechtung unterschiedlicher Dynastien mit den britischen Royals. Sie führten ihn auch zum heutigen König Charles III.
MUM: Herr Dr. Stegherr, Sie sind Experte für südslavische Landeskunde, Sie haben in Südosteuropa geforscht und gelehrt und die KFOR beraten. Woher rührt Ihr Interesse am englischen Königshaus?
Stegherr: Ich kam zur KFOR, weil ich einschlägige Kenntnisse über das Kosovo hatte und den Kommandeur bei seinen Besuchen, Vorträgen und Gesprächen begleiten und ihm dafür landesspezifische Informationen geben konnte. Etwa dazu, wie man den Abt eines orthodoxen Klosters begrüßt, welche Themen man ansprechen, welche man eher vermeiden sollte.
MUM: Waren damals auch die Royals ein Thema?
Stegherr: Das Interesse an den Königshäusern gab es vorher schon. Aber man lernt ja nie aus. Ich habe im albanischen Raum und im Kosovo erlebt, welche Rolle auch dort die monarchische Vergangenheit spielt. Albanien ist ein spezieller Fall. Das Land ist erst Anfang des 20. Jahrhunderts als eigener Staat entstanden. Die Albaner wollten einen eigenen König haben, zunächst einen deutschen Fürsten, Prinz Wilhelm von Wied. Bis kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sie einen Albaner auf dem Thron. Von Wied, der sich im Alter nach Deutschland zurückzog, war mit den Hohenzollern verwandt und ein Vetter zweiten Grades Wilhelms II., der wiederum mit Queen Victoria verwandt war. Da sind wir schon beim Haus Sachsen-Coburg und Gotha, den späteren Windsors.
MUM: Aber da war noch mehr?
Stegherr: Vom Kosovo ist es nicht weit nach Serbien, wo es zwei Dynastien gab, die Obrenović und die Karadjordjević, die sich im 19. Jahrhundert an der Macht abwechselten. König Aleksandar I. aus der Dynastie Karadjordjević wurde 1934 in Marseille ermordet. Er war mit Maria, der Tochter des rumänischen Königs Ferdinand verheiratet, dessen Gemahlin wiederum aus dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha stammte. Diese Verwandtschaftsverhältnisse bis tief in den Balkan hinein ebenso wie die politische Entwicklung haben mich so fasziniert, dass ich mir dachte, da muss ich tiefer einsteigen.
MUM: Wie waren denn die politischen Auswirkungen?
Stegherr: Ein Beispiel: Es wurde erwartet, dass sich Rumänien im Ersten Weltkrieg der deutschen Seite anschließt, weil König Ferdinand dem Haus Hohenzollern-Sigmaringen entstammte. Aber seine Frau, die energische Marie von Edinburg war dagegen. Sie wurde geboren als Prinzessin von Sachsen-Coburg und Gotha, war eine Enkelin der britischen Königin Victoria und des russischen Zaren Alexander II. Gegen ihren entscheidungsschwachen Gemahl setzte sie letztlich die Allianz mit den Entente-Mächten durch.
MUM: Was macht für Sie nun den aktuellen König Charles III. so spannend?
Stegherr: Er war für mich schon als „ewiger Thronfolger“, der wohl nie zum Zug kommen würde, interessant. Ich habe auch lange Zeit gedacht, er sei ein spleeniger Prinz, der zu viel Freizeit hat. Dann habe ich genauer hingeschaut. Einerseits hat er sich sehr für wohltätige Zwecke eingesetzt, etwa für Jugendliche in sozialen Schwierigkeiten. Er stand aber auch immer wieder in der Kritik, weil er sich angeblich zu viel in öffentliche Belange einmischte. Zum Beispiel in die Ökologie- oder die Architektur-Diskussion, wo er eine eher konservative Linie vertrat, die Moderne und eine Verschandelung der englischen Städte kritisierte. Seine Kritik war niemals platt und uninformiert. Auch seine Kritiker, durchaus Experten, mussten ihm großes Fachwissen zugestehen.
MUM: Gibt es auch da eine Verbindung zu Südosteuropa?
Stegherr: Ja, zum Beispiel in Siebenbürgen im Falle der berühmten Kirchenburgen. Deren Erhaltung scheitert oft an den Finanzen. Da mischte sich der Prince of Wales ein. Er hat selbst ein Haus dort und mit Architekten, Studierenden und Kunsthistorikern gesprochen, um Möglichkeiten zu finden, die Kirchenburgen und die weithin noch unversehrte Kulturlandschaft zu erhalten. Die Reaktion war wie in England: Die einen sagten, warum setzt sich dieser Spinner für das alte Gemäuer ein? Die anderen fanden es peinlich, dass da erst so ein Öko-Prinz kommen müsse, um der rumänischen Gesellschaft klar zu machen, welch reiches kulturelles und bauliches Erbe sie hat.
MUM: Aktuell hat Charles III. ganz andere Sorgen: Brexit-Folgen, ökonomische Probleme, Streikwellen… Wie wird er damit fertig?
Stegherr: Bei den sozialen Problemen bewies er ja schon Gespür. Er hat zudem klare Vorstellungen, wie man die Gesellschaft nicht komplett umbauen, aber doch zum Besseren verändern kann. Ein wichtiges Stichwort ist für Charles „Harmonie“. Das ist auch der Titel eines seiner Bücher über „eine neue Art, die Welt zu sehen“, verbunden mit einer neuen, anderen Art des Umgangs mit der Natur und des Wirtschaftens. In dieser Hinsicht war er für England oder Europa geradezu revolutionär. Man darf also gespannt sein, ob und wie er das als König umsetzt.
MUM: Welche Bedeutung messen Sie vor diesem Hintergrund noch dem Ärger mit Sohn Harry bei – vor allem nach Veröffentlichung dessen persönlicher Enthüllungen?
Stegherr: Ich habe in das Buch des Ex-Prinzen Harry hineingelesen. Auch wenn man seine schwierige Kindheit, den Verlust seiner geliebten Mutter, wenn man all das in Rechnung stellt, wofür man durchaus Verständnis haben kann, kommt mir das ganze doch zu sehr wie eine PR-Aktion vor. Ich habe auch den Eindruck, dass er irgendwie neidisch auf seinen älteren Bruder ist und ihm etwas vom Rampenlicht nehmen will, in dem William und Kate stehen. Die beiden erfüllen ihre Aufgaben vorbildlich, während Harrys Ehefrau eher die Rolle der Intrigantin zu spielen scheint. Das tut ihr nicht gut und Harry auch nicht.
MUM: Sie haben noch einen anderen Aspekt der Harmonie entdeckt, der nicht unumstritten ist. Welchen?
Stegherr: Charles sieht sich nicht nur als Anwalt der Harmonie von Natur und Wirtschaft, sondern auch der Religionen untereinander. Der Wechsel von Boris Johnson zum indischstämmigen, bekennenden Hindu Rishi Sunak als Premierminister ist an sich schon interessant. Es gibt britische Nationalisten, die mit einem Hindu als Premier nichts anfangen können. Andere sehen den neuen PM als Zeichen eines pluralen, modernen England. Der König ist zwar zur politischen Neutralität verpflichtet, aber auch Oberhaupt der anglikanischen Kirche, deren überlieferten Glauben er qua Eid verpflichtet ist, zu verteidigen. Dabei gehören viele Untertanen anderen Kirchen und Religionen an. Charles‘ Kompromissformel lautet, er verstehe sich nicht nur als „defendor of faith“, sondern auch als „defendor of faiths“, was für Applaus und auch Kopfschütteln sorgte. Mancher hatte schon zu seiner Prinzenzeit darüber spekuliert, ob Charles überhaupt an etwas glaube, im Gegensatz zu seiner Mutter, der Queen, die gegen Ende ihres Lebens ihren christlichen Glauben sehr deutlich bekannte. Charles mag in ökologischen und künstlerischen Dingen konservativ sein. Er zeigt sich aber auch sehr modern und pragmatisch.
> Interview: fue
Es gibt zahlreiche Verflechtungen unterschiedlicher Dynastien in der Geschichte der Balkanländer auch mit dem britischen Royals. Sie führen bis zum heutigen König Charles III., der sich schon seit längerem beim Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und Dorfkirchen engagiert.
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