LMU macht Schule

Wie Eye-Tracking und KI helfen, Fehler zu vermeiden

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Professor Jochen Kuhn, seit 2022 Lehrstuhlinhaber für Didaktik der Physik an der LMU, forscht mit seinem Team zu multimedialen Lernumgebungen. Dazu gehören sowohl die Lehrerausbildung und das Lernen mit und über Künstliche Intelligenz (KI) in Schulen und Universitäten sowie die auf Eye-Tracking basierende Untersuchung von Lern- und Problemlösungsprozessen.

Der Aha-Effekt ist enorm, wenn man vor der eher schmucklosen Kulisse eines Klassenraums die Planeten unseres Sonnensystems aufgereiht und in der korrekten Größenrelation bewundern kann: Augmented Reality (AR) macht‘s möglich! Sie soll helfen, Physik, die von Schülerinnen und Schülern oft als abstrakt und wenig verständlich betrachtet wird, mittels Visualisierung besser erfahrbar zu machen. Und so arbeiten Jochen Kuhn und sein Team – unter anderem bestehend aus zwei Nachwuchsgruppen – an greifbareren Darstellungsformen, um abstrakte Zusammenhänge nicht nur als Formel darzustellen. Dafür nutzen sie moderne Technologien, mit denen es ihnen gelingt, das Sonnensystem ins Klassenzimmer zu holen. Durch eine AR-Brille kann dieses nicht nur virtuell über die Wirklichkeit gelegt werden. Die Lernenden können sogar wählen, von welchem Planeten aus ihre Perspektive erfolgen soll. Das hilft ihnen, die Größenverhältnisse und Umlaufbahnen besser zu begreifen.

Immer einen Schritt voraus 

Die Forschung zeigt, dass Lernergebnisse besonders gut sind, wenn multiple Darstellungen zeitgleich angewendet werden. Dabei hilft Multimedia: Durch Visualisierung kann beispielsweise der Graph einer physikalischen Gleichung über eine physische Versuchs­anordnung gelegt werden. So werden die beiden Informationen besser verknüpft und verstanden.

Der Grundsatz der Forschung Jochen Kuhns ist: Immer einen Schritt voraus zu sein, um die Zukunft zu gestalten. „In Deutschland hat es mehr als ein Jahrzehnt gedauert, bis ein Alltags­medium wie das Tablet mehr oder weniger systematisch Einzug in die Klassenzimmer gehalten hat“, erläutert er. „Daher ist es notwendig, frühzeitig neue Technologien, die in der Schule und im Studium relevant sein werden, zu antizipieren, um Konzepte zu entwickeln und frühzeitig zu erforschen.“ Hierbei setzen die Forschenden auch auf KI, „die wir nicht nur als Hilfsmittel nutzen wollen, sondern um Lehrkräfte, aber auch Schulkinder damit auszubilden.“ In Kooperationen mit Forschenden der Informatik, die die Interaktion zwischen Mensch und Maschine untersuchen, sowie mit pädagogischen Psychologinnen und Psychologen bringen die Fachdidaktiker in der Lehr-Lernforschung neue Technologien mit dem zusammen, was man über Lehren und Lernen weiß.

In einem neuen Projekt untersuchen Kuhn und sein Team etwa, wie das Verständnis physikalischer Funktionsgraphen unter Einsatz von KI verbessert werden kann. Dazu holten die Forschenden Lehrkräfte von Anfang an mit ins Boot. „Wir erfassen den Lerneffekt von Lernenden in der von uns neu entwickelten Lernumgebung und vergleichen die Ergebnisse mit dem bestmöglichen alltäglichen Unterricht.“ Für die anschließende Forschung im Feld stehen Jochen Kuhn und seinem Team ein Schülerlabor mit Platz für bis zu 30 Schülerinnen und Schülern sowie zwei Forschungslabore mit insgesamt weiteren 16 Lernplätzen zur Verfügung.

Das intelligente System weiß im Vorfeld, wo Fehler entstehen

Individuelle Unterstützung von Schülerinnen und Schüler beim Lernen durch intelligente Systeme ist ein weiterer Schwerpunkt am Lehrstuhl. Wenn Lernende am Bildschirm arbeiten, können ihre Blickdaten, die durch Eye-Tracking ermittelt werden, dem System Aufschluss darüber geben, ob sie zum Beispiel die Aussage eines Funktionsgraphen verstanden haben. Kurz: Das intelligente System weiß im Vorfeld, ob eine Schülerin oder ein Schüler einen Fehler machen wird. So kann die Lehrkraft rechtzeitig eingreifen. Denn, so Kuhn: „Es gibt eindeutige kognitive Prozesse, die zeigen, bei welchen Mustern von Blickbewegungen Probleme auftreten. Diese Muster lassen uns zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Lernenden unterscheiden. Das ermöglicht eine sehr individualisierte Unterstützung der betreffenden Schülerinnen und Schüler.“ 

Mit den Blickdaten können KI-Algorithmen trainiert werden. Die Daten werden anschließend entweder den Lernenden zur Verfügung gestellt oder der Lehrkraft, sodass diese entsprechende Unterstützung leisten kann. „Wichtig ist, zu betonen, dass die Technologie die Lehrkraft nicht ersetzen, sondern sie als Assistenzsystem unterstützen soll.“

Die KI schlägt umgehend personali­sierte Hilfen vor

Ganz konkret kann der Einsatz von KI im Unterricht in individuell auf die Schülerin oder den Schüler zugeschnittenen Kurzaufgaben –sogenannte Rapid Assessment Tests, kurz RAT– münden. Die KI sucht personalisierte Aufgaben zu den behandelten Unterrichtsthemen aus, indem sie Schwächen und Stärken identifiziert. Mit diesen Aufgaben lassen sich die Lerninhalte der Unterrichtseinheit verfestigen. Das können in den MINT-Fächern beispielsweise Aufgaben zu formalen Beschreibungen oder zum Interpretieren von Daten sein. Der Weg zum Lernziel der einzelnen Schülerin und des Schülers ist also individuell verschieden.

In der Testphase befinden sich derzeit auch Unterrichtseinheiten mit multiplen, individuellen Darstellungen. Mit Hilfe von Eye-Tracking wird beispielsweise beim Lesen einer Online-Buchseite erkannt, wo der Blick verweilt, um an dieser Stelle gezielt ergänzende Unterrichtseinheiten einzublenden. Das können Erklärvideos sein oder die zusätzliche Abbildung eines Graphen. Die Lehrkraft kann die Daten auf einem Kontrollbildschirm verfolgen, bewerten und entsprechend unterstützen.

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1.) Multimediale Umgebungen sind sehr förderlich bei Lern- und Problem­lösungsprozessen in der Physik

2.) Eye-Tracking: Es gibt eindeutige kognitive Prozesse, die aufzeigen, bei welchen Mustern von Blick­bewegungen Probleme beim Verstehen auftreten.

3.) Augmented Reality (AR) hilft, Physik mittels Visualisierung besser begreifbar zu machen.

4.) Hier wird der Graph einer physikalischen Gleichung über eine physische Versuchs­anordnung gelegt. So werden die beiden Informationen besser verknüpft und verstanden.

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