Prof. Dr. Andreas Kuckertz

„Ein Team aus fünf Ingenieuren ist kein Dream-Team“

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Im Interview erklärt Entrepreneurship-Experte Professor Andreas Kuckertz, welche Rolle Uni-Spin-offs in Deutschland spielen, wie wichtig die Unterstützung durch die Universitäten ist – und warum auch die Geisteswissenschaften Ausgründungspotenzial haben.

MUM: Herr Professor Kuckertz, welche Rolle spielen Spin-offs an deutschen Universitäten?

Kuckertz: Wir sehen ein steigendes Interesse der Hochschulen an der dritten Mission, also der Verflechtung mit ihrer Umwelt, mit Gesellschaft und Wirtschaft. Das geschieht seit einigen Jahren immer mehr auch durch Ausgründungen. Dazu starten die Unis entsprechende Initiativen, bauen Infrastrukturen. Ihr Engagement hängt aber auch von entsprechenden Förderprogrammen und politischen Initiativen auf Länder- und Bundesebene ab. Ohne den politischen Willen geht nichts.

MUM: Welches Interesse hat die Bundesregierung an Spin-offs?

Kuckertz: Hochschulausgründungen können einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft und Wirtschaft leisten. Denn für innovative Unternehmen liefert die Forschung einfach die perfekte Basis, zu der die 2022 formulierte Start-up-Strategie der Bundesregierung ein klares Bekenntnis gibt. Interessant ist, dass die Förderung des Bundes für Gründungen aus der Forschung nicht vom Forschungsministerium, sondern vom Wirtschaftsministerium vergeben wird. Das verdeutlicht, was man sich erwartet: konkrete und erfolgreiche wirtschaftliche Aktivität.

MUM: Werden Uni-Ausgründungen in Deutschland ausreichend gefördert? 

Kuckertz: Deutschland steht in seiner Förderung auf jeden Fall sehr gut da. Etwas wie das EXIST-Programm der Bundesregierung ist im internationalen Vergleich vorbildlich. Manch andere Nation stellt dagegen verschwindend geringes Funding für Spin-offs zur Verfügung. Im Moment fürchten viele Universitäten aber, dass die Unterstützung der Bundesregierung für Spin-offs aufgrund des finanziellen Drucks im öffentlichen Sektor schrumpfen könnte. Das darf nicht passieren.

„Man kann heute
immer noch ein
ganzes Studium
in Deutschland verbringen, 
ohne mitzubekommen, 
dass es Förderprogramme 
für Unternehmens-gründungen gibt.“

MUM: Wie haben sich die Bedingungen für Spin-offs in den letzten Jahrzehnten verändert?

Kuckertz: Verbessert hat sich, dass das Unternehmertum heute stärker als Option im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert ist. Mein Vater musste sich in den Siebzigerjahren noch mehr oder minder bei Familie und Freunden dafür entschuldigen, dass er ein Unternehmen gründete – anstatt in ein sicheres Angestelltenverhältnis zu gehen! Heute wird das Unternehmertum viel eher als anständige und satisfaktionsfähige Karriereoption akzeptiert. Und das ist gut so.

MUM: Welche Rolle spielt die Unterstützung der Universitäten?

Kuckertz: Eine sehr große; insbesondere das Sensibilisieren der Studierenden und Forschenden ist essenziell. Man kann heute immer noch ein ganzes Bachelor- und anschließendes Masterstudium an einer Uni in Deutschland verbringen, ohne mitzubekommen, dass es Unterstützung und Förderprogramme für Unternehmensgründungen gibt. Deswegen müssen wir diese proaktiv zu den Studierenden bringen, wirklich kreativ werden, um das Thema im Unialltag sichtbar zu machen. Auf dem Campus der Uni Hohenheim etwa kommen Studierende nicht an unserem gläsernen InnoGreenhouse vorbei, in dem wir all unsere Unterstützungsprogramme bündeln. Von den Spin-off-Angeboten erfahren Uni-Angehörige, wenn sie entweder einfach ins InnoGreenhouse hineinkommen oder den riesigen QR-Code im Fenster scannen. Wenn solches Sensibilisieren in Interesse mündet, muss es Ansprechpartner und Wegweisungen für weitere Schritte auf dem Weg zur Unternehmensgründung geben. 

MUM: Was haben Universitäten davon, wenn sie Studierende zu Spin-offs ermutigen?

Kuckertz: Ich denke, eine ganze Menge. Zunächst haben Hochschulen natürlich eine Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber, das Wissen unter die Leute und in die Anwendung zu bringen. Und für die Forschenden ist es reizvoll, wenn ihre Arbeit nicht mit einer Publikation beendet ist. Geschichten von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern generieren zudem viel Medieninteresse und allgemein Aufmerksamkeit. Des Weiteren sollten Universitäten als Ausbildungsstätten natürlich ein Interesse daran haben, Studierenden und Postdocs das Unternehmertum als Karriereoption aufzeigen zu können. Und nicht zuletzt können Spin-offs bei der Drittmitteleinwerbung helfen, weil entsprechende Geber-Institutionen den Schritt der Forschenden zu Transfer und Anwendung sehr gerne sehen. 

MUM: In welchen Disziplinen gibt es besonders viele Spin-offs in Deutschland?

Kuckertz: Universitäre Spin-offs sind oft recht Technologie-lastig. Das liegt daran, dass innovative Forschung, die sich in einem Algorithmus oder einer Technologie manifestiert, oft einfacher zu bewerten ist. Und ich denke, da gibt es vieles, was wir nicht sehen. Ich glaube aber, dass da in den nächsten Jahren ein Wandel auf uns zukommt. In ihrer Start-up-Strategie bekennt sich die Bundesregierung klar zu Unternehmensgründungen, die nachhaltige und soziale Themen verfolgen. Wenn wir Technologie nicht mehr als einzige Innovations- und Wertschöpfungsmöglichkeit sehen, sondern das Soziale und Nachhaltige mitdenken, dann haben gerade auch die Geisteswissenschaften großes Potenzial. Zudem gelingen Ausgründungen in den seltensten Fällen einem Menschen allein. Wenn, sagen wir, eine Informatikerin einen Algorithmus entwickelt hat, könnte sich ein Geisteswissenschaftler im Team etwa ums Marketing kümmern. 

„Ein Spin Off sollte 
von einem Team gegründet
werden, das in seinen Kompetenzen 
und Erfahrungen hinreichend divers ist. 
Ein Team aus fünf Ingenieuren 
ist kein Dream-Team!“

MUM: Was sind gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches Spin-off?

Kuckertz: Aus meiner Sicht sollte es von einem Team – nicht einer Einzelperson – gegründet werden, das in seinen Kompetenzen und Erfahrungen hinreichend divers ist. Ein Team aus fünf Ingenieuren ist kein Dream-Team! Aus der Uni Hohenheim etwa gehen viele grüne, nachhaltige, auf Themen wie Food und Ernährung fokussierte Unternehmensgründungen hervor. Das funktioniert immer dann besonders gut, wenn wir fakultätsübergreifende Teams etwa aus Lebensmittel- und Wirtschaftswissenschaftlern bilden.

MUM: Wie groß ist die Bereitschaft von Forschenden derzeit, angesichts all der Krisen eine Ausgründung zu wagen?

Kuckertz: Ich denke nicht, dass der Ausgründungswille direkt unter den Krisen der letzten Jahre leidet oder gelitten hat. Man sagt ja: Es gibt keine schlechten Zeiten für gute Ideen – vielleicht einmal abgesehen davon, dass es speziell in der Covid-Pandemie an der Präsenz mangelte, die für die Kreativität wichtig ist. Auch folgt ja der Wert, den man mit einem Unternehmen oder einer Unternehmensgründung schafft, aus der Lösung eines bestimmten Problems. Deshalb kann eine Zeit mit vielen Problemen aus unternehmerischer Sicht eine sehr gute Zeit sein. 

MUM: Wie steht Deutschland inter­national da bei Ausgründungen?

Kuckertz: Weil Ausgründungen nicht gemeldet werden müssen, ist es schwer, das in Zahlen zu fassen. Grundsätzlich aber ist es wohl weniger ein Phänomen von Nationen als eher von bestimmten, besonders forschungsstarken Universitäten. Internationale Top-Institutionen, die ohnehin die Zukunft entwickeln – wie sagen wir das Massachusetts Institute of Technology (MIT) – spielen gleichzeitig auch ganz vorne bei den Ausgründungen mit. Das gilt auch innerhalb Deutschlands und hängt zusätzlich sicher vom umgebenden Ökosystem ab. Deshalb ist Ausgründungsfreudigkeit wohl nicht zuletzt ein Phänomen von Metropolen – wie Berlin, dem Ruhrgebiet und natürlich München.

> Interview: ajb

Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Andreas Kuckertz von der Universität Hohenheim ist Präsident des Förderkreises Gründungsforschung e.V., der größten wissenschaftlichen Vereinigung im DACH-Raum zu Entrepreneurship, Innovation und Mittelstand.

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