Sprachwandel durch Social Media

Lieber schnell als fehlerfrei

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Durch soziale Medien und Messenger-Dienste verlernen junge Menschen richtig zu sprechen und zu schreiben? Von wegen! Menschen waren schon immer „mehrsprachig“ und könnten je nach Situation schnell umschalten, sagt Professorin Sonja Zeman vom Institut für Deutsche Philologie an der LMU. Sie untersucht in Seminaren mit Studierenden, ob und wie das Internet unsere Sprache verändert. Trotz der vielen Kritik zum angeblichen Sprachverfall kann sie keine negativen Auswirkungen auf das Sprachsystem feststellen.

„Lass mir ein Like da, wenn Dir der Beitrag gefällt“: Wohl kaum ein Satz wird in den sozialen Medien häufiger genutzt. Dabei ist er grammatikalisch zumindest holprig, „lass mir einen Like hier“ wäre laut Duden korrekt. Verfechter der deutschen Sprache würden wohl auch das aus dem Englischen entlehnte „Like“ kritisieren. Das Internet verändert unseren Sprachgebrauch. Wie stark und auf welche Weise untersuchte Professorin Sonja Zeman vom Institut für Deutsche Philologie mit Studierenden in einem Seminar zur Internetsprache anhand von Youtube, sozialen Medien und WhatsApp-Nachrichten.
Doch nicht nur junge Menschen treibt das Thema um. „Auch wer sich nicht mit Linguistik befasst, interessiert sich für die Auswirkungen“, erklärt Zeman. Deswegen hat sie zum Beispiel auch schon einmal ein Online-Seminar bei der Volkshochschule gehalten. Dort waren auch ältere Generationen unter den Vortragsgästen, die die Sprachgewohnheiten ihrer Enkelkinder besser verstehen wollten. Dabei wurde von vielen der Wunsch geäußert, die Dinge doch „schön“ zu schreiben. Statt „Eisdiele?“ also lieber einen ganzen Satz zu formulieren. Bewertungen wie „schön“ hält die Sprachwissenschaft allerdings für problematisch.

Sprache ist ständig im Wandel

„Sprache ist etwas, mit dem wir uns identifizieren“, erläutert Zeman. Das sei der Grund, warum Sprachveränderung sehr emotional bewertet wird. Dabei ist Sprache immer in Bewegung. Die Entwicklung der Schriftsprache ist sehr stark von den Kanzleisprachen geprägt, die am ehesten mit der heutigen – oft schwer verständlichen – Verwaltungssprache vergleichbar ist. Gesprochene Sprache unterliegt ständiger Veränderung. „Sprechen wie gedruckt“ ist heute nicht unbedingt mehr ein Kompliment. Das weiß jeder, der einmal einem abgelesenen Referat oder Vortrag zuhören musste.
Was ist also dran an dem im öffentlichen Diskurs oft geäußerten Vorwurf, die Sprache der Dichter und Denker würde durch das Internet zunehmend verroht? Nichts, sagt Zeman. Zwar gebe es immer wieder Umfragen, in denen Menschen Angst vor einem Sprachverfall durch Messenger-Dienste und Emojis äußern. Dadurch würde die Fähigkeit zu komplexen Sätzen verloren gehen, heißt es oft. „Die Sprachwissenschaft geht aber nicht davon aus, dass neue Medien negative Einwirkungen auf unsere Sprache haben.“ Diese Haltung vertritt auch das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim.
„Es gibt nicht die Internetsprache“, verdeutlicht Zeman. Vielmehr müsse differenziert werden zwischen unterschiedlichen Formen computervermittelter Kommunikation. Und dabei müsse unterschieden werden, ob per E-Mail, einem Messenger-Dienst oder per Chat kommuniziert werde. Gerade bei Letzterem geht es laut der Sprachwissenschaftlerin um schnelles Antworten, nicht um druckreifes Schreiben. „Der Text soll ja später nicht als Buch veröffentlicht werden“, sagt Zeman und lacht. Aber auch beim Chatten würden sich die Menschen den Kommunikationsbedingungen anpassen und mit Freunden anders schreiben als beispielsweise bei einem Bürgerchat mit Abgeordneten.

Jugendliche beherrschen “Kiezdeutsch” und Hochdeutsch

Auch wenn viele Lehrerinnen und Lehrer oft anderes behaupten: Studien zeigen, dass gerade junge Menschen ein großes Bewusstsein dafür haben, wie sie sprechen sollen. Der Film „Fack ju Göthe“ hat sich aber wohl bei vielen Menschen tief ins Bewusstsein gegraben. Obwohl Jugendliche untereinander Kiezdeutsch oder Dialekt sprechen, könnten sie in der entsprechenden Situation schnell umschalten, sagt Zeman. Sie würde sich aber wünschen, dass diese „Mehrsprachigkeit“ im Unterricht häufiger thematisiert würde. „Das ist wichtig, um erfolgreich zu kommunizieren.“ Die Grenzen zwischen den verschiedenen Codes sind dabei durchlässig. So hört man das häufig in geschriebenen Kurznachrichten verwendete „OMG“ für „Oh my god“ inzwischen auch im mündlichen Sprachgebrauch.
Eine große Bedeutung in der computervermittelten Kommunikation haben zudem Emojis. Statt „Viel Glück für Deine Prüfung“ zu schreiben, reicht jetzt beispielsweise ein Kleeblatt. Der Künstler Joe Hale hat sogar die ganze Geschichte von Alice im Wunderland in Emojis übersetzt. „Sie können verbale Sprache aber nicht ersetzen“, ist die Sprachwissenschaftlerin überzeugt. Emojis könnten jedoch emotiv-soziale Bedeutungen vermitteln, die in der Face-to-Face-Kommunikation oft durch Gestik, Mimik und Stimmmodulation ausgedrückt werden. So verwundert es nicht, wenn gerade Emojis mit emotiv-sozialen Funktionen am häufigsten verwendet werden: Laut Studien sind das die lachenden und traurigen Smileys, Herzen und die drei kleinen Affen. Emojis halten inzwischen auch in der Arbeitswelt Einzug. Zeman vermutet, dass dies mit der Tendenz zu mehr Informalität im Geschäftsleben, den flacheren Hierarchien und dem zunehmenden Duzen zusammenhängt.
Das Verb „boostern“ ist zum Anglizismus des Jahres 2021 gekürt worden. Was früher „geil“ war, ist heute „lit“. Dass wir viele englische Begriffe übernehmen, findet Zeman ganz natürlich. „Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist es völlig normal, Wörter aus anderen Sprachen zu übernehmen.“ Natürlich seien Begriffe wie „Chat“ mit der Ausweitung der computervermittelten Kommunikation in die Sprache gekommen. Aber Entlehnungen habe es grundsätzlich auch schon früher gegeben. Auch im Englischen wurden viele Wörter aus romanischen Sprachen übernommen. Sprache ist laut Zeman nichts, was man vor fremdsprachigen Wörtern schützen muss.

dl

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