Alumni: Kabarettistin Claudia Pichler

„Lustige Frauen werden unterschätzt“

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Dr. Claudia Pichler ist „ned blöd … für a Frau“. So hieß ihr erstes Bühnenprogramm. Inzwischen ist die 36-Jährige regelmäßig bei der Grünwald Freitagscomedy im Bayerischen Rundfunk zu sehen. Die LMU-Alumna hat ihre Doktorarbeit über den Kabarettisten Gerhard Polt geschrieben und gilt seitdem wahlweise als „POLTologin“ oder „Frau Dr. Polt“. Im Interview erklärt sie, warum Punkmusik und bayerische Traditionen gut zusammenpassen.

MUM: Frau Dr. Pichler, Sie sagen „einen Mann braucht man eigentlich nur zum Tatort schauen“. Was haben Sie gegen Männer?
Dr. Claudia Pichler: (lacht) Das Zitat ist nicht von mir, das wurde nur über mich geschrieben. Die Aussage spielt auf ein Lied an und ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Aber es geht schon in die richtige Richtung. Viele Männer überschätzen sich und unterschätzen Frauen. Ich habe studiert und promoviert, aber trotzdem immer das Gefühl, anderen etwas beweisen zu müssen. Gerade wenn Frauen etwas zurückhaltender sind, werden sie gerne übersehen. Das hat manchmal Vorteile, aber grundsätzlich nervt es.

MUM: In Ihrem Programm sind Sie zerrissen zwischen bayerischer Tradition und Moderne, Dialekt und Hochdeutsch, Stadt und Land, den Ärzten und der Biermösl Blosn. Warum fällt Ihnen die Entscheidung so schwer?
Pichler: Ich bin froh, mich nicht entscheiden zu müssen. Aber das Thema begleitet mich schon lange. Als Jugendliche habe ich mit Freunden Hochdeutsch und daheim Bairisch gesprochen. Das waren zwei Welten, die mir lange unvereinbar vorkamen. Ich mag das Traditionelle, aber das gwappelte „Mia san mia“ ist mir sehr fremd. Aber inzwischen habe ich eine gute Mischung gefunden. Gerhard Polt ist auch zusammen mit den Toten Hosen aufgetreten, das geht gut.

MUM: Konnten Sie sich beim Studium auch nicht entscheiden? Sie haben an der LMU Neuere Deutsche Literatur, Psychologie und Politik studiert – ein weites Feld.
Pichler: Nach der Schule hatte ich im Gegensatz zu anderen kein klares Berufsziel. Erst wollte ich Brauerin werden und habe zwei Semester in Weihenstephan studiert. Dann habe ich mich für das Magisterstudium an der LMU entschieden, weil ich die Fächervielfalt schön fand. Was ich damit machen will, wusste ich aber auch damals noch nicht. Ich wollte mich einfach mit Dingen befassen, die mir Spaß machen. Manchmal kommt man auch über Umwege ans Ziel.

MUM: Hat Ihr Politikstudium Ihr Programm beeinflusst? Darin geht es ja zum Beispiel auch um die Einkommensunterschiede von Männern und Frauen.
Pichler: Ja. Politik finde ich nach wie vor spannend. Auch meine Dissertation über Gerhard Polt hat mir geholfen, die Politik im Blick zu behalten. Ich mache auf der Bühne aber kein politisches Kabarett. Viele gesellschaftliche Themen sind allerdings auch im Kleinen Politik.

MUM: Ihr Volontariat beim Schweizer „Kein & Aber“-Verlag hat Ihr Leben entscheidend geprägt.
Pichler: Definitiv – auf unterschiedlichste Weise. Ich wollte damals raus aus München und der Kein & Aber-Verlag in Zürich schien wie für mich geschaffen zu sein. Da Gerhard Polts Werke schon lange in diesem Verlag erscheinen, durfte ich gleich mit ihm arbeiten. Das war eine Ehrung und Herausforderung. Die Zusammenarbeit hat mich ihm als bairisch sprechende Volontärin sehr nah gebracht.

MUM: 2017 haben Sie an der LMU über „Fremdheit bei Gerhard Polt“ promoviert. Wie kam es dazu?
Pichler: Gerhard Polt ist während meines Volontariats 70 Jahre alt geworden. Entsprechend war der Verlag auf seine Werke fokussiert. Ich durfte damals seine Werkausgabe mit zehn Bänden betreuen und habe jeden Text von ihm gelesen. Ich kannte schon viel, aber danach hatte ich das Gefühl, ich kenne seine Werke besser als er (lacht). Zurück in München dachte ich dann, diese Kenntnis muss ich nutzen.

MUM: War viel Zeit nötig, um seinen Humor wissenschaftlich zu bearbeiten?
Pichler: Ich fand es schon schwierig. Sich der Komik zu nähern ist schwieriger als beispielsweise einem tragischen Stoff. Humor ist nicht leicht zu fassen, geschweige denn zu erklären und ergründen. Aber es hat sehr viel Spaß gemacht, sich mit seinen Werken zu beschäftigen – das mache ich bis heute.

MUM: Zuagroaste können mit Gerhard Polts Humor am Anfang oft nichts anfangen. Woran liegt das?
Pichler: Das kann gut sein. Man muss hier aufgewachsen sein, um die Typen zu verstehen, die er auf die Bühne bringt. Gerhard Polt hat eine wahnsinnig gute Auffassungsgabe und kann extrem präzise Verhaltensweisen imitieren. Wenn man in Bayern verwurzelt ist, kommen einem viele Dinge bekannt vor.

MUM: Sie haben Ihre Arbeit unter dem Titel „Gerhard Polt und die anderen“ als Buch herausgebracht, eine „Doktorarbeit für alle“.
Pichler: Ja, die Doktorarbeit musste ich ja ohnehin veröffentlichen. Der Stoff ist für viele Menschen unterhaltsam, auch ohne sich zuerst in unzählige Theorien einzulesen. Das Buch habe ich dann ein bisschen erzählerischer gestaltet und die Fußnoten eliminiert. Es ist schade, dass viele Doktorarbeiten nur einem kleinen Zirkel zugänglich sind.

MUM: Wie wurden Sie zur „Fachfrau für bairische Sprache und bayerische Kultur“ in der Grünwald Freitagscomedy im Bayerischen Rundfunk?
Pichler: Das war reiner Zufall. Ich war in München bei der Dieter-Hildebrandt-Preisverleihung an Andreas Rebers, um dort zu moderieren. Da waren auch die Redakteure der Grünwald Freitagscomedy da. So sind wir ins Gespräch gekommen. Die „Fachfrau“ zu sein ist wirklich eine schöne Rolle.

MUM: Seit Herbst 2019 gibt es jede Woche Ihren Interview-Pod-cast „Aufgschnappt“ mit prominenten bayerischen Gästen aus Kunst, Musik, Sport, Politik und Journalismus. Das klingt nach viel Arbeit, für die es kein Geld gibt.
Pichler: Am Anfang stand das technische Interesse. Ich hatte auch mal überlegt, als Radiomoderatorin zu arbeiten. Selber Sendungen zu produzieren ist toll und mein großes Netzwerk hilft mir dabei. Es ist schön, dauerhaft mit Menschen im Gespräch zu bleiben, und wir bekommen auch regelmäßig viele Zuschriften. Als Bühnenkünstlerin muss man sichtbar bleiben und das fällt mir mit einem Podcast leichter als beispielsweise über Social Media.

MUM: Zusätzlich gibt es noch gemeinsam mit Kabarettistin Franziska Wanninger den Podcast „Ladies first“. Warum auch noch diesen?
Pichler: (lacht) Wenn ich als Kabarettistin zu Mixed Shows eingeladen werde, bin ich bei fünf Künstlern oft die einzige Frau. Dabei gibt es so viele humorvolle Frauen in Deutschland. Daher habe ich mit Franziska Wanninger beschlossen, uns Frauen gegenseitig vorzustellen. Dabei lernen wir uns auch untereinander besser kennen.

MUM: Ihre Kolumne „Pichler auf Tour“ in der bayerischen Zeitschrift MUH startete ausgerechnet zu Beginn von Corona. Wie haben Sie die letzten zwei Pandemiejahre erlebt?
Pichler: Es war eine schwierige Zeit. Am Anfang hatte ich Existenzängste, weil auf einmal der volle Tourplan weggebrochen ist. Natürlich wird man erfinderisch, um sich selbst zu helfen. Problematisch war aber, dass man gar nicht wusste, wie lange diese Situation noch anhält. Ich habe gelernt, flexibel zu sein. Wenn Auftritte erlaubt sind, spiele ich, soviel ich kann, und nehme mit, was geht.

MUM: Zu Beginn des Jahres waren Auftritte erlaubt, trotzdem wurden Ihre Termine teilweise auf 2023 verschoben. Warum?
Pichler: Zuerst war bei Kulturbühnen nur eine Auslastung von 25 Prozent, später von 50 Prozent erlaubt. Das rentiert sich für die Bühnen nicht. Außerdem waren viele Leute verunsichert. Das Publikum musste geimpft oder genesen und zusätzlich getestet sein. Hinzu kam die Maskenpflicht, Kontaktdaten mussten angegeben werden und zwischen den Stühlen waren immer eineinhalb Meter Abstand einzuhalten. Ich kann verstehen, wenn Menschen unter diesen Bedingungen lieber auf den Sommer warten.

MUM: Steht die Wirtshauskultur in Bayern über der echten Kultur?
Pichler: Ich glaube schon. Es war wirklich absurd, wie die Kultur gegängelt und teilweise unmöglich gemacht wurde. Beim Wirtshaus hat man die Notwendigkeit zu Einschränkungen nicht gesehen, aber das ist nur ein Beispiel von vielen. Viele Maßnahmen für Kulturschaffende waren unlogisch. Die Kultur wurde bei Lockerungen ganz zuletzt berücksichtigt – wenn überhaupt. Die fehlende Wertschätzung und die Unkenntnis über die vielfältige Kulturszene in Bayern haben mich sehr verwundert.

MUM: In Bayern gibt es 650 verschiedene Mundarten. Wie viele davon sprechen Sie als Dialektkünstlerin?
Pichler: Nur meinen, das ist dann wohl die 651. Variante. (lacht). Mein Dialekt hat sich aus vielen Gesprächen mit Menschen aus ganz Bayern entwickelt. Es ist kurios, wie viele Leute nach meinen Fernsehauftritten im Netz darüber diskutieren, ob ich richtiges Bairisch spreche. Dafür gibt es doch keine Definition. Es ist gerade das Schöne, dass sich eine Sprache frei entwickelt.

MUM: Was ist Ihr liebstes Schimpfwort?
Pichler: „Bleede Amsel“ rutscht mir manchmal raus, wenn sich jemand anstellt. Das ist aber nicht richtig geschimpft. Manchmal muss es auch die „Schoaßblodern“ sein. Aber das ist zum Glück nichts, was ich im Alltag oft brauche. (lacht) ​​​​​​​​​​​

Interview: dl

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