Besser könnte man es nicht erfinden: Ein Onkologe und leidenschaftlicher Segler, der weiß, wie wichtig dieser Sport für die eigene Psyche und den Teamgeist ist – dieser Arzt also trifft einen angehenden Juristen, der ebenso begeistert segelt, an Krebs erkrankt, durchs Segeln voll ins Leben zurückfindet und beschließt, dieses Erfolgserlebnis mit anderen Betroffenen zu teilen. Das Ergebnis ist ein beispielloses Projekt: die „Segelrebellen“, eine Rebellion gegen die Widrigkeiten des Lebens mit Krebs.
So drückt es jedenfalls Marc Naumann aus, Jurist und Journalist, Gründer der „Segelrebellen“ und mittlerweile mit eigenem Boot, eigener Crew und jungen Krebskranken als wechselnder „Mannschaft“ unterwegs. Der Schirmherr ist Professor Michael von Bergwelt, Direktor der onkologischen Klinik der LMU.
„Ich habe von Kindesbeinen an schon gesegelt und war schon mit Anfang 20 als Skipper unterwegs im deutschen Hochseesportverband“, erzählt der Professor. „Als ich in Boston forschte, machte ich nebenher das Kapitänspatent für Großsegler. Schon damals dachte ich, wenn du mal Onkologe bist, verbindest du das und machst etwas Sinnvolles daraus.“ Er probierte es zunächst als Schiffsarzt, „aber das war langweilig“.
Marc Naumann kam nach seiner Therapie zur Nachsorge in die Klinik von Professor von Bergwelt in Großhadern. Er berichtete von seinen Plänen – und für den Onkologen war, wie er sagt, „von Anfang an klar, dass ich ihn gerne unterstütze“. So wurde er Schirmherr. „Ich berate ihn, gehe Konzepte mit ihm durch, zum Beispiel zu Sicherheit und medizinischen Notfällen auf See, wir sind schon zusammen gesegelt und ich bin auch als Werbeträger unterwegs.“
Sich für Naumanns Projekt entschieden zu haben, hat er nie bereut. „Wie er durch einen Schicksalsschlag in der Juristenkarriere getroffen wurde und sich sagte, jetzt mache ich mal das, was mir von Herzen wirklich wichtig ist: Das hat mich beeindruckt“, betont der Klinik-Direktor. Und: Naumann habe eine sehr gute Segelausbildung absolviert und viel Erfahrung. „Auf einer Hochseejacht kann es schon mal ordentlich pusten, da braucht man jemanden, der das wirklich kann. Da habe ich volles Vertrauen zu ihm. Das war für mich wichtig als Schirmherr: Nicht nur das Konzept muss stimmen, sondern auch das Sicherheitsniveau. Das ist ja kein Wandern und kein Hallenschwimmbad.“
„Nach der Therapie wird zur See gefahren“
Marc Naumann war 28 Jahre alt, als die Diagnose „Hirntumor“ all seine privaten und beruflichen Pläne abrupt über den Haufen warf. Eines aber blieb ihm: seine Leidenschaft fürs Segeln. Eine kleine Jolle hatte er schon. Noch während der Strahlentherapie schipperte er damit ein bisschen herum, spürte, wie ihm das Kraft gab, und machte den Segelschein. So wollte er gegen die tückische Krankheit ankämpfen.
Dann kam der nächste Schock. Genau zwei Jahre nach der ersten Diagnose, Naumann war mitten in den Vorbereitungen für das juristische Staatsexamen, eröffneten ihm die Ärzte: „Wir haben ein Rezidiv entdeckt.“ Was nichts anderes als Rückfall bedeutete und diesmal auch Chemotherapie. Eine Behandlung, über die er sagt, „du kannst dem Körper beim Verfall zusehen“. Über ein halbes Jahr musste er im Krankenhaus verbringen. Dann stand für ihn fest: „Nach der Therapie wird zur See gefahren.“
Zusammen mit einem erfahrenen Skipper fuhr Naumann im Oktober 2012 bei stürmischem Wetter von Cuxhaven durch Nordsee und Ärmelkanal ins französische Calais. „Bei dem rauen Wind und dem starken Seegang konnte ich wertvolle Erfahrungen sammeln“, schildert der heute 39-Jährige. Er habe neuen Lebensmut gefunden und sogar ein Prädikatsexamen geschafft.
Als dann ein guter Freund den Kampf gegen Krebs verlor, kam der nächste Einschnitt: Die Juristenkarriere musste warten, damit Naumann sich ganz auf sein Projekt „Segelrebellen“ konzentrieren konnte. „Auf der Fahrt nach Calais habe ich gemerkt, wenn ich die Kraft habe, mit diesen Schwierigkeiten fertig zu werden, dann schaffe ich auch das mit meiner Krankheit. Diese Erfahrung wollte ich weitergeben.“
Etwa an die 26-jährige Angestellte Olivia Kupka aus Hannover und die neun Jahre ältere Pia Becker, Referentin im Bundesentwicklungsministerium. Olivia hatte während ihrer Krebstherapie einen Flyer der „Segelrebellen“ gesehen, war sofort begeistert und bewarb sich. Beim „Dänischen Südsee Wikinger-Törn“ in der Ostsee vergangenes Jahr war sie dabei.
Pia hatte 2015 noch während des Studiums die Diagnose Krebs bekommen und sofort gegoogelt, welche Angebote es für junge Krebspatienten gibt. So kam sie auf die Segelrebellen und nahm den Kontakt auf. „Ich habe schon immer gern Sport gemacht und wollte ohnehin einmal das Segeln ausprobieren“, erzählt sie, „und so war das für mich das Richtige.“
Es ging über die Ostsee durchs Kattegat, nach Kopenhagen und nach Rügen. „Es war im Oktober 2016, da ging ganz gut Wind, das war schon ein Abenteuer.“
Die Herausforderung ist auf See überall die gleiche – und auch das Erfolgserlebnis, sie zu bestehen. „Am Steuer auch bei stärkerem Wind zu sein, war ganz toll,“ berichtet Olivia. „Ich habe mir das irgendwie schwieriger vorgestellt. Aber das war gar nicht so anstrengend, und man ist dann stolz, dass man das Ruder und das Leben im Griff hat und alles steuern und entscheiden kann.“
Ähnlich hat es Pia in Erinnerung: „Für mich war es absolut das Richtige und das, was ich nach der Therapie gebraucht habe. Ich dachte in der Therapie, wenn ich die geschafft habe, dann geht es bergauf. Aber erst einmal ging es eher bergab.“ Sie sei körperlich kaputt gewesen. Das Ganze psychisch zu verarbeiten, fange erst später an. „Die Therapie hat mir geholfen, dass der Krebs nicht zurückkommt“, sagt Pia, „und die Segelrebellen haben mir geholfen, Vertrauen zu haben und wieder psychisch auf die Beine zu kommen.“ Zwei Mal noch war sie in dieser Zeit auf Segeltörns unterwegs, „und ich habe mich nie so gut gefühlt“. So sieht es auch Olivia Kupka. „Durch die Krankheit ist man ja ziemlich isoliert, weil das Immunsystem so schwach ist. Ich hatte wieder Lust, hinaus in die Welt zu gehen, unter Menschen zu kommen, Kontakte zu knüpfen. Wegen Corona war die Isolation ja noch extremer, und da war es gut, so einen Törn zu machen, andere Leute kennenzulernen, und abends, wenn wir geankert haben, zusammen zu kochen und zu quatschen – also all das zu erleben, was man in den letzten zwei Jahren nicht hatte.“
Natürlich redet man auch über die Krankheit. „Bei den Gesprächen können wir unbefangener miteinander umgehen“, sagt Olivia Kupka. „Wenn man mit Freunden oder in der Familie darüber spricht, sind die meisten beklommen oder haben viel Mitleid. Aber von uns hatte ja jeder das Gleiche durchgemacht.“ Aber klar, es sei ja nicht alles wie weggeblasen, räumt Olivia ein: „Natürlich waren wir an Bord auch mal traurig, wenn wir uns an bestimmte Situationen erinnert haben oder wenn man die Geschichte der anderen hört. Aber man zehrt auch vom Austausch und bekommt viel zurück.“
Nicht zuletzt gibt es dann noch die Herausforderung namens Seekrankheit. Pia wurde übel, sie musste sich nachts übergeben, aber „dann dachte ich mir, du weißt nicht, ob du so ein Abenteuer noch einmal erleben kannst. Da bin ich sofort aufgestanden.“ Von Marc Naumann stammt die Parole „kotzen, aufwischen, weitermachen“. Er weiß aber auch von Teilnehmerinnen, die dem sogar eine positive Seite abgewinnen können: „Kotzen kenne ich von der Chemo“, habe eine gesagt, „aber hier macht es mehr Spaß.“
Spenden willkommen
Als Naumann 2014 sein Projekt startete, musste er noch fremde Boote chartern, seit 2017 hat er ein eigenes, die SY MAGIC, eine eigene Crew und das sehr selbstbewusste Motto, das zumeist diskret „f*ck cancer – go sailing“ geschrieben wird. Die Segelrebellen waren schon in Gibraltar und in den Lofoten, gegenwärtig beschränkt sich Naumann weitestgehend auf die Ostsee – wegen Corona und wegen der Preise. Törns inklusive Anreise sollen nicht zu teuer sein. Ohne die Hauptsponsoren wie Mr. Wash AG, Helly Hansen und Garmin wären sie vermutlich überhaupt nicht möglich, und für nötige größere Reparaturen sind zusätzlich Spenden willkommen.
An Mitsegelnde stellt Naumann keine großen seemännischen oder gesundheitlichen Anforderungen. Die Therapie müsse abgeschlossen sein, „und wer es schafft, eine Woche lang selbstständig einzukaufen und die Sachen in die Wohnung zu bringen, der ist auch fit für den Törn. Alles andere lernen sie bei der Crew und mir.“ Bisher wurde er noch nicht enttäuscht.
Man lernt an Bord auch fürs Leben. Professor von Bergwelt spricht von einem dreifachen Effekt: dem unmittelbaren gleich nach dem Törn, dem ein anhaltender folge und schließlich ein nachhaltiger, als „Eye-Opener – nachdenken, sich anders kennenlernen“. Olivia Kupka hat das so erlebt: „Ich kam in mein altes Leben zurück, Bürojob von Vormittag bis Nachmittag, ich war auch etwas demotiviert, wieder in meinen Job zu finden. Denn nach der Krankheit ist man nicht mehr so belastungsfähig. Aber das Gute war, dass ich gelernt habe, lockerer zu werden und nicht alles so ernst zu nehmen.“ Pia Becker wird dem Segeln treu bleiben, den Sportboot-Führerschein hat sie schon, jetzt will sie „noch ein paar Segelscheine machen“.
fue
Die Segelrebellen im Internet: www.segelrebellen.com
Möglichkeiten, sie zu unterstützen, findet man unter: www.segelrebellen.com/spenden
0 Kommentare