Auf der digitalen Bühne
Schein oder Sein: Wie Jugendliche sich im Netz darstellen

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Der prüfende Blick in den Spiegel: Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Riesmeyer empfindet nach, wie wichtig die Selbstdarstellung für viele Jugendliche ist. Foto: Oliver Jung

Auf Social Media trügt der Schein. Wer sich selbst darstellt – auf Instagram, Snapchat, Tiktok oder Facebook – der tut das stets etwas besser, als es die reale Welt hergibt. Die Fotos sind ein bisschen hübscher als das echte Abbild, die Erlebnisse etwas aufregender, die Fertigkeiten etwas ausgeprägter. Vor allem Jugendliche tun das. So zumindest lautet die landläufige Annahme. Doch stimmt sie überhaupt? Und ist es vielleicht gar nicht sinnvoll, sich selbst in ein übertrieben helles Licht zu rücken?

Klar ist: Social Media spielt im Alltag heutiger Heranwachsender eine zentrale Rolle. Laut einer Studie der DAK-Krankenkasse verbringen Jugendliche durchschnittlich zwischen 12 und 17 Jahren täglich rund zweieinhalb Stunden in den sozialen Medien. Die Plattformen dienen der Selbstdarstellung, aber auch dazu, mit Freundinnen und Freunden in Kontakt zu bleiben oder sich zu informieren. Doch wie genau die Selbstdarstellung abläuft, ob sie übertrieben oder realistisch ausfällt und wovon das abhängt, diesen Fragen geht die Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Riesmeyer nach.

Riesmeyer ist Privatdozentin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU. In ihrem Projekt „Normen visueller Selbstdarstellung in der Identitätskonstruktion Heranwachsender. Normaushandlung, -wandel und -wirkung auf Instagram und Snapchat (NoviS)“ erforscht sie gemeinsam mit Arne Freya Zillich von der Filmuniversität KONRAD WOLF Babelsberg und den zwei Doktorandinnen Jessica Kühn und Annika Wunderlich, woran sich Jugendliche bei ihrer Selbstdarstellung auf Social Media orientieren. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert, geht über insgesamt drei Jahre und läuft bis Ende 2024.

Ins Kino oder auf ein Konzert, um ein paar Likes zu bekommen

Wie sich Jugendliche auf Instagram und Snapchat darstellen, dieser Frage sind Riesmeyer und Zillich schon in einer Vorstudie nachgegangen. Darin konnten sie verschiedene Muster erkennen, von denen zwei dominierten: authentische und inszenierte Selbstdarstellung. Eine größere Gruppe von Jugendlichen gab sich online ganz bewusst sehr realitätsgetreu und echt. Weil es, so sagten es einige der Befragten, ohnehin auffiele, wenn sie sich verstellten, da die meisten ihrer Online-Kontakte sie auch offline kannten und regelmäßig trafen. Eine andere Gruppe von Jugendlichen setzte sich auf ihren Social Media-Accounts ganz bewusst übertrieben in Szene. Sie arrangierten beispielsweise eigene Foto-Shootings bei Sonnenuntergang oder unternahmen gezielt Aktivitäten – sie gingen ins Kino oder auf ein bestimmtes Konzert –, einzig um sie anschließend online zu teilen und Likes zu erhalten. Teils hatten sie dafür sogar eigene öffentliche Profile angelegt.

Das aktuelle Forschungsprojekt soll nun einen Schritt weiter gehen. „Wir wollen vor allem herausfinden, woher sie wissen, wie sie sich zu verhalten haben“, sagt Riesmeyer. „Wer setzt ihnen Regeln und Normen für ihre Handlungen? Wie wichtig sind nahestehende Personen wie Eltern oder der Freundeskreis? Welchen Einfluss haben Influencerinnen und Influencer?“ Hier ist zwar klar, dass Social Media-Promis für Jugendliche vor allem wichtig sind, wenn sie etwa mit Tipps und Tricks zu Computerspielen, Ernährung oder Modetrends aufwarten. Doch ob sie auch konkrete Anleitungen formulieren oder als Vorbilder vorleben, wie sich die Jugendlichen auf Social Media selbst darstellen sollten, dazu ist noch wenig bekannt.

Die Forschung wisse hier noch sehr wenig, sagt Riesmeyer. Bisherige Studien fokussierten meist auf die einzelnen Personen. Man befragte die Jugendlichen oder die Eltern, erhielt so eine Sichtweise auf ein Thema, an dem viele verschiedene Personen beteiligt sind. Was denken die Kinder über die Eltern? Was glauben Eltern über ihre Kinder oder deren Freunde? Welche Rolle haben Influencer in den verschiedenen Wahrnehmungen?

„Die Jugendlichen haben sehr häufig klare Regeln für sich selbst definiert, an die sie sich auch halten. Das elterliche Unbehagen ist daher oft unbegründet.“

Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, analysierten Riesmeyer und ihr Team gezielt das Umfeld von 20 Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren. Die Heranwachsenden waren dabei gleichverteilt nach Alter, Geschlecht und Bildung und stammten aus verschiedenen Regionen Deutschlands. Neben den meist einstündigen Interviews mit den Jugendlichen selbst befragten die Forschenden auch zwei enge Freunde, einen Elternteil und eine Lehrkraft.

„Lehrerinnen und Lehrer hielten sich für sehr, sehr wichtig“

Außerdem konnten alle Befragten Karten von sich selbst und den anderen relevanten Personen anordnen, um so bildlich zu zeigen, wer ihrer Meinung nach einen großen oder einen geringen Einfluss aufs Verhalten der Jugendlichen hat. „So können wir herausfinden, inwiefern die Eltern, die Freunde oder die Lehrkräfte denken, dass sie für das, was der oder die Jugendliche tut, wichtig sind“, sagt Riesmeyer. Bisherige Forschung habe oft nur eine Sichtweise erfragt. Nicht selten gingen diese Einschätzungen ziemlich weit auseinander.

Ein ganzes Jahr lang dauerte die Datenerhebung. Aktuell analysiert Riesmeyer mit ihrem Team die Daten – mit ersten Ergebnissen. „Die Karte mit dem Faktor ‚Schule‘ hätten viele Jugendliche zum Beispiel gerne ganz aussortiert, weil die Schule in ihrer Wahrnehmung überhaupt keine Rolle für die Frage der Online-Selbstdarstellung spielt“, sagt Riesmeyer. Zwar findet in den Schulen Medienbildung statt. Doch würden dort andere Themen besprochen, oft ginge es um Datenschutz oder Cybermobbing. „Fragen wie ‚Wie stelle ich mich dar?‘ oder ‚Welche Rechte haben andere an ihren Bildern?‘ kommen da nicht vor“, sagt Riesmeyer. „Aber jetzt dürfen Sie mal raten, für wie wichtig sich die Lehrerinnen und Lehrer hielten: für sehr, sehr wichtig.“

In der Realität scheint es dagegen so, als seien die Jugendlichen selbst ihr wichtigster Normensetzer, gefolgt von der Peer-Group und Influencerinnen und Influencern. „Die Eltern scheinen eher keinen direkten Einfluss auf das Online-Verhalten der Jugendlichen haben“, sagt Riesmeyer. „Aber einen gewissen Einfluss haben sie dann auf einem Umweg doch: Sie definieren eher grundsätzliche Regeln.“ Zum Beispiel, dass die Kinder keine Bilder in Bikini oder Badehose ins Netz stellen sollen oder eine Beleidigung eine Beleidigung bleibt, egal ob im echten Leben oder „nur“ in einem Sozialen Netzwerk. Die Eltern formulieren den äußeren Rahmen und dessen Grenzen. Welches Verhalten die Jugendlichen darin an den Tag legen – darauf haben sie nur wenig Einfluss.

„Eines wird aus den Interviews deutlich“, sagt Claudia Riesmeyer. „Neben den Regeln, die sie bei Gleichaltrigen beobachten, haben sich die Jugendlichen sehr häufig klare Grundsätze für sich selbst definiert, an die sie sich auch halten – etwa keine freizügigen Fotos oder unnatürliche Inszenierungen zu posten. Das elterliche Unbehagen ist daher oft unbegründet.“

Jan Schwenkenbecher

Dr. habil. Claudia Riesmeyer ist Privatdozentin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU. Sie koordiniert als Akademische Oberrätin auf Lebenszeit den Bachelorstudiengangs Kommunikationswissenschaft an der LMU, habilitierte sich im Januar 2021 im Fach Kommunikationswissenschaft.

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