Auf dem Sprung
Infektionskrankheiten, die von Tieren auf den Menschen übergehen, nehmen zu. Warum?

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Markt in Wuhan: Vieles spricht dafür, dass die Coronapandemie im November und Dezember 2019dort ihren Anfang nahm. Wenn der Fleischkonsum über Rind, Schwein und Huhn hinausgeht, so warnt der LMU-Virologie Gerd Sutter, werden die Kontaktzonen von Wildtieren und Menschen zahlreicher. Foto: Hector Retamal/ AFP via Getty Images

Das Angebot auf dem Seafood-Market in Wuhan ist überwältigend: Fisch ohne Ende, Hummer, Krabben, Shrimps, Muscheln und was der Ozean eben noch so alles hergibt. Und anders als der Name des Marktes vermuten lässt, erwartet die Besucher auch ein reichhaltiges Angebot an Landtieren: Hunde, Ratten, Schlangen, Echsen, Vögel und so weiter. „Wegen des explosionsartigen Bevölkerungswachstums bleibt den Menschen in China gar nichts anderes übrig, als jegliche Proteinnahrung zu verwerten“, sagt Gerd Sutter, Fachtierarzt für Mikrobiologie und Professor für Virologie an der LMU. Auch in anderen Teilen der Erde sind Menschen auf Wildtiere als Nahrungsquelle angewiesen. „In einigen Ländern Afrikas ist zum Beispiel Buschfleisch ein gängiger Bestandteil des Speiseplans.“

Kaum ein Jahr vergeht ohne einen neuen Ausbruch

Prinzipiell sei nichts dagegen einzuwenden, wenn der Fleischkonsum über Rind, Schwein und Huhn hinausgeht. Aber problematisch ist laut Sutter, dass die Kontaktzonen von Wildtieren und Menschen zahlreicher werden. Denn dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Zoonosen auftreten – also Infektionskrankheiten, die vielfach von Viren aber auch von Bakterien, Parasiten und anderen Krankheitserregern verursacht und wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden. Dass Zoonosen verheerende Folgen haben können, ist spätestens seit Corona jedem klar. Vieles spricht nämlich dafür, dass die Pandemie im November und Dezember 2019 auf dem Markt in Wuhan ihren Anfang nahm – vermutlich in einem Bereich, in dem Händler lebende Wildtiere verkaufen. Noch immer ist allerdings unklar, von welchem Tier Sars-CoV-2 auf den Menschen überging. Bisherige Studien weisen auf Fledermäuse als Virusreservoir hin. Ob allerdings ein anderes Tier als Zwischenwirt fungierte, ist immer noch Gegenstand der Forschung.

Ungeachtet der offenen Fragen zum Ursprung von Covid-19 gab es in den letzten zwei Jahrzehnten etliche Beispiele für Zoonosen: Sars, ebenfalls ein Coronavirus und auch bekannt als Sars-CoV-1, wurde 2002 von Schleichkatzen übertragen – Tieren übrigens, die auch auf dem Markt im Wuhan angeboten werden. Dann folgten Schweine- sowie Vogelgrippe, Ebola von Flughunden, Mers von Dromedaren oder das unter Affen zirkulierende Zikavirus. Und kaum war die Coronakrise einigermaßen überwunden, machten Affenpocken die Runde. Müssen wir also damit rechnen, dass sich das Zoonosen-Karussell künftig immer schneller dreht? 

„Zoonosen sind Naturereignisse, die es immer schon gegeben hat“, stellt Sutter klar. Die Erreger an sich nähmen nicht zu, durchaus aber der Übergang auf den Menschen, so der Virologe: „Seit rund zwei Jahrzehnten vergeht praktisch kein Jahr mehr, in dem wir nicht ein neues Ausbruchsgeschehen feststellen.“ Neben dem Verzehr von Wildtierfleisch gibt es für diese Entwicklung etliche weitere Gründe, zum Beispiel „die Zunahme der Wirtspopulation“, wie Sutter es nennt. Er vergleicht die Menschen auf der Erde mit Bakterien auf einer Kulturplatte. „Wenn die Bakterien sich zu sehr vermehrt haben, kommen irgendwann die Bakteriophagen – also Viren, die ausschließlich Bakterien infizieren – und vernichten 99 Prozent der Population.“ Soll heißen: Durch das Bevölkerungswachstum steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen mit ohnehin schon vorhandenen Erregern aus der Tierwelt infizieren. Und im schlimmsten Fall ist irgendwann ein Virus dabei, das uns fast alle tötet.  

Immer mehr der natürlichen Barrieren gegen Erreger fallen

Hinzu kommt, dass der Mensch immer weiter in die natürlichen Lebensräume der Wildtiere vordringt, um Rohstoffe abzubauen und landwirtschaftliche Nutzflächen zu erschließen. Man denke etwa an die Abholzung der Urwälder in vielen Teilen der Erde. „Dort treffen wir auf Krankheitserreger, mit denen wir vorher nie etwas zu tun hatten“, erklärt Sutter. Bei der Ebolafieber-Epidemie in Westafrika von 2014 bis 2016 konnten Forscherinnen und Forscher zum Beispiel fast minutiös nachverfolgen, wo die Epidemie ihren Anfang nahm: Im Hinterland von Guinea hatten Waldarbeiter dichte Urwaldzonen gerodet und damit eine natürliche Barriere zu den wachsenden Siedlungen entfernt. Im Dezember 2013 sprang das Virus dann von einer kleinen Fledermaus auf einen zweijährigen Jungen über, der wenig später an der Infektion starb. Bis zum März 2014 erfassten die Behörden in südöstlichen Waldgebieten Guineas Dutzende weitere Fälle. Über mehrere westafrikanische Länder verbreitete sich die Krankheit dann auch erstmals außerhalb Afrikas. 

Neben den vermehrten Berührungspunkten zwischen Menschen und Wildtieren fördert die Erderwärmung das Auftreten von Zoonosen. Denn veränderte klimatische Bedingungen können dazu führen, dass sich so genannte Vektoren, also Überträger von Infektionskrankheiten, neue Lebensräume erschließen. Wegen der milderen Temperaturen ist zum Beispiel die Zeckenart Hyalomma marginatum bereits in einigen Ländern Europas aufgetaucht. Die Tiere übertragen das Krim-Kongo-Fieber, eine gefährliche Viruserkrankung, die hohes Fieber, Kopf-, Glieder- und Muskelschmerzen, Übelkeit und auch schwere Blutungenhervorruft. Auch Stechmücken, die eigentlich in exotischen Regionen heimisch sind, siedeln sich hierzulande vermehrt an – etwa die Asiatische Tigermücke, die etliche Tropenkrankheiten wie das Chikungunya-Virus und Dengue-Fieber weitergibt. Zusätzlich begünstigt der mitunter enge Kontakt des Menschen zu Wirtstieren Krankheitsausbrüche. So sprang zum Beispiel das Mers-Virus, das in Dromedarherden in Wüstengebieten auf der arabischen Halbinsel zirkuliert, vereinzelt auf deren Halter über und verbreitete sich dann von ihnen weiter. Ähnlich wie Sars-CoV-2 verursacht der Erreger beim Menschen eine schwere Atemwegsinfektion.

Ein Grund für das vermehrte Auftreten von Zoonosen ragt laut Sutter aber heraus: „Die Mobilität des Menschen hat in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen – sicherlich ein absoluter Schlüsselfaktor“, sagt er. Auf diese Weise könnten sich selbst Erreger auf dem gesamten Globus verbreiten, die natürlicherweise das Potenzial dazu gar nicht hätten, sagt der Virologe. Als Beispiel nennt er die eigentlich kaum ansteckenden Affenpocken. Dass das Virus dennoch in unterschiedlichen Teilen der Erde aufgetaucht ist, liege lediglich an der globalen Vernetzung, so Sutter. „Die rasche Verbreitung hat sogar uns Experten überrascht.“

Wie das West-Nil-Virus im Flieger komfortabel nach New York gelangte 

Die zunehmende Reisetätigkeit und der weltweite Geschäftsverkehr führen auch dazu, dass Vektoren der Krankheiten auf Reisen gehen. Als Beispiel nennt Sutter den Handel mit gebrauchten Autoreifen. In ihnen sammeln sich bisweilen kleine Wasserreste, in denen Mücken ihre Eier ablegen. Auf Schiffen fährt die Ware dann über die Ozeane während sich die Larven entwickeln. So verbreitete sich in den 1980er und 1990er Jahren die Aedes-Mücke, deren Stich das Dengue-Fieber weitergeben kann. Komfortabler reiste das West-Nil-Virus, das im Jahr 1999 mit einer Stechmücke im Flieger nach New York gelangte. Schnell gab es die ersten infizierten Vögel im Stadtbereich, und innerhalb weniger Jahre verbreitete sich das Virus über den gesamten amerikanischen Kontinent.

Die Zunahme der Zoonosen ist für den Infektionsmediziner Sutter jedoch kein Grund zur Panik. Er mahnt dennoch zur Vorsicht und fordert eine vernünftige Vorbereitung. „Man muss permanent mit Infektionsereignissen rechnen, und wir Virologen wissen, dass es noch viel unschönere Viruserkrankungen gibt als Affenpocken oder Covid-19.“ Die gute Nachricht ist: „In den letzten beiden Jahrzehnten haben unsere technischen Fähigkeiten in der virologischen Forschung rasant zugenommen.“ In kürzester Zeit könne man zum Beispiel die vollständige Genomsequenz von einem Erreger identifizieren, so Sutter. Zu Beginn der Coronakrise untersuchten Forscherinnen und Forscher der LMU wöchentlich Abwasserproben aus dem Münchner Stadtgebiet auf Viren. Damit ließ sich einerseits die Verbreitung von Sars-CoV-2 verfolgen. Andererseits erhielte man anhand der Sequenzierung des Erbguts Informationen über neue Varianten des Virus. Solche Überwachungsmechanismen sind in Pandemiezeiten extrem wertvoll, um rasch mit entsprechenden Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen reagieren zu können.

Genetische und molekulare Informationen bilden außerdem die Grundlage für die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen, weil sie charakteristische Strukturen des Erregers und somit potenzielle Angriffspunkte offenlegen. Eine wirksame Impfung muss zum Beispiel sogenannte Antigene des Erregers enthalten, anhand derer sich das Immunsystem trainieren lässt. „Die Impfung ist aus meiner Sicht das allerbeste Mittel gegen Infektionserkrankungen“, sagt Sutter. 

Die gute Nachricht ist: Wir können uns auf Ausbrüche vorbereiten

Gezeigt hat das die Coronapandemie: Hier waren die Vakzine der ‚Gamechanger’, und die jahrelange Forschung an der mRNA-Technologie hat sich bezahlt gemacht. Dabei dient die RNA als Bote, und schleust die genetische Information für den Aufbau eines Proteins in die Zelle. Allerdings ist das Coronavirus auch prädestiniert für die neue Technik, weil ein einziges Merkmal des Erregers – das Spike-Protein – ausreicht, um im Körper eine ausreichend starke Antikörperantwort hervorzurufen. Bei vielen anderen Erregern ist das nicht der Fall – etwa bei den Pockenviren. „Deren Biologie, Aufbau und Lebenszyklus sind komplex und wirksame Impfstoffe benötigen mehr Virusproteine als die von Coronaviren“, erläutert Sutter. 

Mit der Impfstoffplattform, die Sutter und Kollegen entwickelt haben und die auf einem nicht mehr vermehrungsfähigen Impfpockenvirus basiert, lassen sich bis zu zehn verschiedene Antigene eines Erregers integrieren. Einerseits arbeitet das Team damit bereits an Vakzinen gegen Viren, die künftig gefährlich werden könnten, beispielsweise Mers oder auch Grippeviren. Andererseits wollen die Forscherinnen und Forscher die Impfstoffplattform so etablieren, dass sie sich rasch an unbekannte Erreger anpassen lässt. Ein Vorteil der Vektorimpfstoffe gegenüber den mRNA-basierten Versionen ist, dass sie stabiler und länger haltbar sind, vermutlich wäre eine Bevorratung von Notfallimpfstoffen über Jahrzehnte möglich. Zudem ist ihre Herstellung technologisch einfacher, weshalb sie auch in ärmeren Ländern produziert werden können. 

Aber Impfstoffe sind natürlich nicht alles. Bereits um die Jahrtausendwende war Sutter als Experte an der Ausarbeitung eines nationalen Pandemieplans beteiligt. Darin empfahlen die Autoren zum Beispiel, Schutzkleidung vorrätig zu halten oder das Gesundheitssystem auf einen Ernstfall vorzubereiten. Offenkundig wurden solche Empfehlungen bislang meist nicht umgesetzt. Sutter plädiert dafür, künftig auch in solche Formen der Gesundheitsvorsorge zu investieren und nicht nur an betriebswirtschaftliche Aspekte zu denken. Investitionen in Prävention könne auch ökonomisch sehr sinnvoll sein.

Und vielleicht noch wichtiger als nationale Maßnahmen sind globale; bei der Weltgesundheitsorganisation propagiert man dafür das „One Health“-Prinzip – dies bedeutet: Da die Gesundheit von Mensch, Tier und Natur voneinander abhängen, gilt es, sowohl die Umwelt zu schützen als auch die Veterinärmedizin und die öffentliche Gesundheit zu fördern. 

Eine bessere Gesundheitsversorgung in ärmeren Ländern würde beispielsweise helfen, Infektionskrankheiten gleich vor Ort einzudämmen. Laut Sutter ließe sich aber noch mehr machen: „Wir sollten Gesellschaften in die Lage versetzen, dass sie auf den Verzehr von Wildtierfleisch verzichten können. Das würde manche Epidemie schon verhindern.“ Doch trotz aller Maßnahmen wird es immer wieder zu Ausbrüchen kommen, so der Experte. Die gute Nachricht ist: Wir können uns darauf vorbereiten. 

Janosch Deeg

Impfstoffforschung: Gerd Sutter hat zusammen mit Kollegen eine Plattform entwickelt; auch damit soll es möglich sein, deutlich schneller als in der Vergangenheit Vektorvakazine gegen neue Erreger zu entwickeln. Die in Rekordzeit designten mRNA-Impfstoffe, sagt der Virologe, seien der „Gamechanger“ in der Coronapandemie gewesen. Foto_ Jan Greune

Prof. Dr. Gerd Sutter ist Inhaber des Lehrstuhls für Virologie am Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen der LMU. Sutter, Jahrgang 1962, studierte Tiermedizin an der LMU, promovierte ebendort und ging als Postdoktorand an die National Institutes of Health, Bethesda, USA, bevor er sich an der LMU im Fach Virologie habilitierte. Sutter leitete eine Forschungsgruppe am Institut für Molekulare Virologie des Helmholtz Zentrums München und die Abteilung für Virologie am Paul-Ehrlich-Institut in Langen, ehe er 2009 den Ruf an die LMU annahm.

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