Die feinen Unterschiede
Stoffwechsel und Immunsystem funktionieren bei Frauen in Teilen anders als bei Männern.

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Zwischen Leben und Tod: Defibrillator-Monitor am Bett einer Patientin mit Herzrhythmusstörungen in der Notaufnahme. Frauen haben häufig andere Symptome bei Herzinfarkten als Männer. Diese werden daher oft zu spät erkannt. Foto: Daniel Karmann/ dpa/ Picture Alliace

Frauen haben zwei X- und kein Y-Chromosom, außerdem andere primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale. Das stimmt – aber es gibt noch deutlich feinere biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern. „Frauen sind nicht nur in der Regel kleiner und leichter und haben kleinere Organe, auch Stoffwechsel und Immunsystem funktionieren etwas anders“, sagt Susanna Hofmann, Professorin für Fettstoffwechsel und metabolische Erkrankungen an der Medizinischen Fakultät der LMU. „Dass solche geschlechterspezifischen Unterschiede medizinisch relevant sein können, lässt sich auf ein komplexes Zusammenspiel genetischer, hormoneller und zellbiologischer Faktoren zurückführen“, so Hofmann. Sie leitet auch eine unabhängige Forschergruppe am Helmholtz Zentrum München zum Thema Frauen und Diabetes, die die geschlechterspezifischen Unterschiede erforscht und personalisierte Therapieansätze entwickelt. 

Viele dieser Wechselwirkungen sind zwar noch unbekannt, doch schon jetzt zeigen zahlreiche Forschungsergebnisse, wie wichtig es für Patientinnen sein kann, wenn die Medizin die Unterschiede im Blick hat. Denn Frauen haben nicht nur andere Krankheitsrisiken als Männer, sondern zeigen häufig auch andere Symptome, Krankheitsverläufe und Reaktionen auf Therapien. 

Das inzwischen wohl bekannteste Beispiel ist der Herzinfarkt. Er zeigt sich bei Frauen seltener durch die typischen Symptome wie in andere Körperteile ausstrahlende Schmerzen im Brustraum oder Atemnot. Bei Frauen sind die Symptome stattdessen oft eher unspezifisch, bei ihnen kann sich ein Infarkt auch durch starke Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Übelkeit, Beschwerden im Oberbauch oder Schmerzen im oberen Bereich des Rückens äußern. Die Folge: Herzinfarkte werden bei Frauen oft zu spät erkannt, und in jungen Jahren sterben sie häufiger daran als gleichaltrige Männer. 

Dass der Herzinfarkt eine „typische Männerkrankheit“ ist, stimmt indes nur bedingt. Da sich Östrogene positiv auf die Gefäßfunktion auswirken, beeinflussen die weiblichen Sexualhormone das Krankheitsrisiko im Verlauf des Lebens: Vor der Menopause sind Herzinfarkte bei Frauen seltener als bei Männern. Sinkt ab der Menopause jedoch der Östrogenspiegel, sind sie ebenso gefährdet. „Auch ihr Risiko, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln, steigt dann deutlich.“

Frauen haben eine „aufmerksamere“ Immunabwehr

Da Östrogene im Gegensatz zum männlichen Testosterone eher aktivierend auf das Immunsystem wirken, ist die Immunabwehr bei Frauen „aufmerksamer“, mit dem positiven Effekt, dass sie besser gegen Infektionskrankheiten gewappnet sind. „Das zeigt sich aktuell auch in den Statistiken zur Sterblichkeit durch Corona-Infektionen“, so Hofmann. „Zudem bilden Frauen nach Impfungen mehr Antikörper und sind dadurch schneller geschützt.“ Ein aktiveres Immunsystem tendiert jedoch auch dazu, sich gegen den eigenen Organismus zu wenden. Frauen sind daher deutlich häufiger von Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose oder rheumatoider Arthritis betroffen. 

Ebenfalls hormonbedingt verarbeitet der Stoffwechsel von Frauen Medikamente anders als der von Männern; die Reaktion auf Wirkstoffe kann also variieren. Ein Grund: Vor allem Frauen mit aktivem Zyklus haben einen höheren Progesteronspiegel, was zu Muskelentspannung und damit zu einer langsameren Verdauung führt. Infolgedessen baut ihr Körper manche Wirkstoffe langsamer ab und die Wirkung von Medikamenten kann sich verstärken oder verlängern. Deutlich wurde das etwa bei Zolpidem, dem Wirkstoff eines Schlafmittels. Nehmen Frauen es in der ursprünglich an männlichen Probanden bemessenen Dosierung ein, so ist ihr Reaktionsvermögen noch am nächsten Morgen deutlich verlangsamt. Inzwischen wurden die Empfehlungen zur Dosierung angepasst.

„Nicht alle Unterschiede zwischen Frauen und Männern lassen sich allerdings auf Hormone oder Gene auf den Geschlechtschromosomen zurückführen, oft sind auch komplexe Genexpressionsmuster beteiligt“, sagt Susanna Hofmann. Und auch kleine anatomische Unterschiede könnten eine differenzierte Behandlung von Beschwerden sinnvoll machen. Frauen haben beispielsweise eine kürzere Harnröhre als Männer, leiden daher ohnehin öfter an Blasenentzündung. Viele Medikamente erhöhen den Zuckergehalt im Harn, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit einer Entzündung zusätzlich erhöht. Ein anderes Medikament wäre dann oft besser und könnte den Patientinnen möglicherweise eine Blasenentzündung ersparen.

Eine Frage der richtigen Dosierung

Die gendermedizinische Forschung ist allerdings noch eher jung. „Geschlechterspezifische Unterschiede sind erst in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts überhaupt in den Fokus gelangt“, sagte Hofmann und fordert „in der Forschung an Krankheiten, Medikamenten und Therapien müsste noch konsequenter der Frage nachgegangen werden, ob es geschlechterspezifische Unterschiede gibt.“ Dazu gehöre, bereits in den vorklinischen Studien Wirkstoffe an männlichen und weiblichen Zellen und Mäusen zu testen, sowie auch in den klinischen Studien die Probandengruppen ausgewogen zusammenzusetzen.

„Es ist wichtig, Hinweise auf geschlechterspezifische Unterschiede, die beispielsweise relevant für die spätere Dosierung eines Wirkstoffs sein könnten, schon möglichst früh zu bemerken“, so Hofmann. In der medizinischen Praxis sollten dann beispielsweise Kardiologen und Endokrinologen zusammenarbeiten, um den Einfluss des Hormonhaushalts bei kardio-vaskulären Erkrankungen besser einschätzen zu können. „Viele medizinische Standardwerke orientieren sich außerdem eher an den an Männern normierten Studien“, so Hofmann.

Auch in der Ausbildung der künftigen Ärztinnen und Ärzte sei es daher wichtig, geschlechterspezifische Aspekte stärker zu vermitteln. Ein Abbau von Vorurteilen über typisch „männliche“ oder „weibliche“ Krankheiten könnte generell helfen: „Bei vielen Menschen ist zum Beispiel das Bild eines Mannes, der sich an die linke Brust greift, fest mit dem Stichwort Herzinfarkt verknüpft“, sagt Hofmann. Mehr Wissen darüber, wie sich Infarkte bei Frauen äußern können, würde dazu führen, dass die Patientinnen selbst und deren Umfeld schneller die richtige medizinische Hilfe holen könnten.

Susanna Hofmann sieht die geschlechterspezifische Medizin langfristig als einen Schritt auf dem Weg zu gänzlich personalisierten Therapien: „Zu den bisherigen Erkenntnissen über eher grobe geschlechterspezifische Unterschiede muss man jetzt noch viel mehr Details erforschen und dann in Zukunft auch noch weitere Faktoren wie das Alter oder genetische Dispositionen miteinbeziehen.“ Dieser differenzierte Blick sei zwar mit hohem Aufwand verbunden und erfordere die Auswertung großer Datensätze, werde aber auch immer leichter möglich und daher wichtiger. „Die medizinische Forschung orientiert sich generell bereits immer mehr hin zur individualisierten Medizin, wie sie beispielsweise in der Krebstherapie schon recht weit ist“, so Hofmann. Dort werden Antikörpertherapien inzwischen spezifisch auf die Tumorsubtypen der Patientin oder des Patienten abgestimmt.

Nicole Lamers

Prof. Dr. Susanna Hofmann 

ist Professorin für Fettstoffwechsel und metabolische Erkrankungen an der Medizinischen Fakultät der LMU und leitet auch eine Forschergruppe am Helmholtz Zentrum München zum Thema Frauen und Diabetes.

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