Von schrumpfenden Gletschern, Umweltrangern und Sternenparks: Im Kooperationsprojekt Facts4Tourism mit der Alpenschutzkommission betreibt LMU-Geograph Philipp Namberger Wissenschaftskommunikation im Alpenraum. In einem Dossier auf Basis von Fachpublikationen bietet er dabei Zusammenfassungen wissenschaftlicher Erkenntnisse und viele Praxisbeispiele.
Beim Skifahren in den Bayerischen Alpen kam Philipp Namberger mit einem Almwirt ins Gespräch. Auf Nachfrage erzählte er diesem, dass er an der Uni München arbeite und Geograph sei. Was als Plauderei begann, führte über die bayerischen Alpen und Schneekanonen zum Klimawandel – und dieses Thema schien für den Wirt „ein rotes Tuch“ zu sein. „Von Forschungsergebnissen wollte er nichts hören, wurde hitzig und sehr emotional“, erinnert sich Namberger, der am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Tourismusforschung der LMU lehrt und forscht. In diesem Moment wünschte er sich, leicht verständliche Forschungsergebnisse einfach auf den Hüttentisch legen zu können.
Namberger, Akademischer Oberrat und Privatdozent an der LMU, forscht vorrangig zu Tourismusgeographie, Mobilität und Nachhaltigkeit; in seinen jüngsten Projekten ging es etwa um die Wahrnehmung von Airbnb-Vermietungen durch die Nachbarn oder die Auswirkung von Freischankflächen auf Anwohnende. Von dem Gespräch mit dem Almwirt erzählte er dem Geschäftsführer der deutschen Vertretung der Internationalen Alpenschutzkommission e.V. Deutschland (CIPRA), Uwe Roth. Dieser hatte schon ähnlich unfruchtbare Debatten geführt – und initiierte das Kooperationsprojekt Facts4Tourism. „Damit sollten wissenschaftliche Erkenntnisse, die für den Alpentourismus relevant sind, auch in die Alpen getragen werden“, so Namberger. „Erkenntnisse also zum Klimawandel, aber auch zu digitalem Besuchermanagement und ökonomischen Auswirkungen des Tourismus.“
Für das zweijährige, gerade abgeschlossene Projekt, gefördert vom Umweltbundesamt sowie dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, wurden zunächst Partnergemeinden in den Alpen ausgewählt: der Markt Bad Hindelang im Oberallgäu, der Wintersport-Ort Garmisch-Partenkirchen sowie die Bergsteigerdörfer Kreuth auf deutscher und Steinberg am Rofan auf österreichischer Seite. In Workshops vor Ort diskutierte man mit Repräsentantinnen und Repräsentanten der Gemeinden die speziellen Stärken, Schwächen und Herausforderungen ihrer jeweiligen Zielorte – neben Overtourism etwa Mobilitätsfragen und Besucherlenkung.
Wachsende Nische „Dark Tourism“
Geleitet von diesen Themen machten sich Namberger, Roth und die stellvertretende Geschäftsführerin bei CIPRA, Henriette Adolf, an eine umfangreiche Literaturanalyse. „In diese flossen 175 wissenschaftliche Publikationen ein sowie 107 Fachbücher, Artikel, Berichte, Texte und Karten“, erklärt Namberger. In den Veröffentlichungen ging es etwa um den Zusammenhang von Klimawandel und Großveranstaltungen in Österreich, um die ästhetische Wahrnehmung eines schrumpfenden Gletschers im Mont-Blanc-Massiv oder das Projekt „Beyond Snow“, das Strategien für kleine Schneetourismusorte aufzeigt, sich auch in einer Zukunft mit weniger Schnee zu behaupten.
Auf Basis der Literaturanalyse erarbeitete das Team ein leicht verständliches, übersichtlich gestaltetes Dossier, das in diesen Tagen veröffentlicht wird. Darin erfährt man, dass die Alpen als „Wiege des Fremdenverkehrs“ gelten, welche Präferenzen Millennials im Bergtourismus haben und welches Wetter für Sommertouristen nicht mehr annehmbar ist. Es geht um das Potenzial des Bildungstourismus in den Alpen, das Routennetz „Mountainbike-Modell 2.0“ im Land Tirol und darum, dass der „Dunkle Tourismus“ mit Zielen wie Gefängnissen, Katastrophenorten oder übernatürlichen Sichtungen, eine wachsende Nische des „Special Interest Tourism“ ist.
Graphische Elemente sollen die Orientierung in dem 176 Seiten dicken Dossier erleichtern: Gelbe Glühbirnen weisen auf die Zusammenfassung einer Fachpublikation hin, rote Megafone auf Best-Practice-Beispiele. Beim Stichwort Besucherlenkung lautet ein solches Beispiel: „Im Tölzer Land werden Rangerinnen und Ranger für informative Besucherlenkungsmaßnahmen eingesetzt. Zusätzlich zur Aufklärungsarbeit an Isar und Walchensee beobachten die Isar-Ranger die Entwicklung von Flora und Fauna. Außerdem überprüfen sie das Einhalten der Parkregeln und des Zelt-, Übernachtungs- sowie Feuerverbots.“
Info-Cartoons am Skilift
Über eine Fallstudie aus der Westschweiz heißt es: „Durch die steigende Konkurrenz der Tourismusdestinationen werden atypische Angebote, die den Gästen einzigartige Erlebnisse verschaffen, immer wichtiger. In Sternenparks, Dark-Sky-Parks, Lichtschutzgebieten oder Destinationen des Nacht- beziehungsweise Dark-Sky-Tourismus werden öffentliche Leuchtmittel nachts optimiert, reduziert oder abgeschaltet.“ Der so wieder sichtbare Sternenhimmel erhöhe den touristischen Wert der Region, schütze aber gleichzeitig den Blick auf den Sternenhimmel und die Ökosysteme der Alpen.
Ein anderes Best-Practice-Beispiel ist die Initiative „Look B4 you go” der Tiroler Landesregierung und des Österreichischen Skiverbands. Mit an Liften angebrachten Cartoons sollen Skitourengeherinnen und Cross-Country-Skifahrer dabei für einen rücksichtsvollen Umgang mit Natur und Wildtieren abseits der Pisten sensibilisiert werden.
„Nur wenn Tourismuswirtschaft und Wissenschaft stärker zusammenrücken“, glaubt Philipp Namberger, „können positive Effekte zugleich für den Klimaschutz als auch die Anbieter vor Ort in den Alpen erreicht werden.“ Das Dossier, in dem auch erklärt wird, wie wissenschaftliche Artikel überhaupt zustande kommen und man Quellen auf ihre Seriosität überprüft, soll nun im Alpenraum verteilt werden. Nicht zuletzt geht es in dem Schriftstück auch um einen Reisetrend, der zur Zeit der COVID-19-Pandemie aufkam: Nicht mehr leibhaftig an einen Zielort zu fahren, sondern ihn per Virtual Reality zu besuchen. So könnten auch fiktive, gefährliche oder schwer zu erreichende Ziele besucht werden – wie Nordkorea, die Antarktis oder die NASA-Raumstation.
> ajb
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