Der Dolmetscher
Laurent Frantz erklärt „alte DNA“

Weitere Artikel aus diesem Magazin

Aufbereitung einer Knochenprobe: „Alte DNA“ zu gewinnen, gelingt nur in extrem kontrollierten Laborumgebungen. Foto: Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie

Es gib wissenschaftliche Begriffe, die es in die Alltagswelt geschafft haben. LMU-Wissenschaftler erklären an dieser Stelle solche Ausdrücke – nicht nur mit einer reinen Definition, sondern auch mit einer kurzen Geschichte ihrer Popularität. 

„Stirbt ein Organismus, wird seine DNA in seinem Körper abgebaut, wie die übrigen Biomoleküle auch. Die DNA ist jedoch ein sehr widerstandsfähiges Molekül. In Haaren, Knochen oder bei Pflanzen in Samen kann sie über Tausende von Jahren erhalten bleiben. In den letzten 40 Jahren haben Forscher neue Labortechniken entwickelt, um diese ,alten‘, stark degradierten DNA-Moleküle aus paläontologischem und archäologischem Material zu extrahieren. Mit Erfolg: Jüngst hat der Genetiker Svante Pääbo den Medizinnobelpreis erhalten, weil er mit ihrer Hilfe das Erbgut längst ausgestorbener Frühmenschen rekonstruierte.

Die Arbeit mit alter DNA ist schwieriger als mit ,moderner‘ DNA, da die DNA-Menge in alten Proben oft sehr gering ist. Alte DNA erfordert eine besondere Behandlung und ein Arbeiten in extrem kontrollierten Laborumgebungen, um DNA-Verunreinigungen durch Personen, die mit der Probe umgehen, oder durch die Umwelt zu vermeiden. 

Biotechnologische Fortschritte haben die Arbeit mit diesen winzigen Mengen an DNA-Molekülen möglich gemacht. Der vielleicht wichtigste ist die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), ein Verfahren zur Vervielfältigung von DNA-Molekülen. Es erlaubt, DNA-Moleküle in ausreichender Menge zu erzeugen, um sie zu sequenzieren. Neue Sequenzier-Technologien erlauben, ganze Genome in einem Tempo zu sequenzieren, das noch vor 15 Jahren für unmöglich gehalten wurde.

Der Zugang zu genetischen Informationen aus der Vergangenheit hat Bereiche wie Paläontologie, Paläoanthropologie und Archäologie revolutioniert. Durch die Entschlüsselung des DNA-Codes alter Organismen, darunter auch von Mensch oder Neandertaler, haben Forscher nun Zugang zu einer Art Zeitmaschine. Sie macht Momentaufnahmen aus der fernen Vergangenheit möglich. So können Genetiker nun die Geschichte unserer Spezies in noch nie dagewesener Detailtiefe erforschen und etwa untersuchen, was uns von unseren entfernten Vettern, den Neandertalern, unterscheidet. Oder verstehen, wie wir die Welt kolonisiert haben, uns an Erreger wie die Schwarze Pest angepasst haben, aber auch, wie und wann wir Pflanzen wie Reis, Weizen und Gerste domestiziert haben und Tiere wie Hunde oder Pferde unsere Begleiter wurden.

Anhand von Genominformationen aus vergangenen Ökosystemen, auch aus ausgestorbenen und noch lebenden Arten wie Mammuts, Elefanten und Wölfen, untersuchen Forscher, wie Arten während der großen klimatischen Veränderungen der letzten Million Jahre überlebten und sich anpassten oder ausstarben. Damit hat ,alte DNA‘ ein enormes Potenzial, uns bei Aussagen zur Zukunft zu helfen, dazu, wie wilde aber auch domestizierte Arten auf die Klimakrise reagieren werden.“

Protokoll: huf

Prof. Dr. Laurent Frantz ist Professor für Paläogenomik der Haustiere an der Tierärztlichen Fakultät der LMU.

diesen Artikel teilen:

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Aktuelles aus der Forschung

Von Glück und Pech in der Genlotterie


Vom genetischen Einfluss auf das Immunsystem

„Ähnlichkeiten zwischen den Imperien waren groß“


Unterhaltung mit Historiker Tom Menger über koloniale Kriegsführung und massive Gewalt

Ruf der Wildnis

Editorial zum Schwerpunkt

Auf dem Sprung

Infektionskrankheiten, die von Tieren auf den Menschen übergehen, nehmen zu. Warum?

Kindheit im Dschungel

Entwickeln Kinder, die im Regenwald aufwachsen, ein anderes Konzept von der Natur als westliche Stadtkinder?

Die fremde Welt der Tiefe

Auch noch Meilen unter dem Meer existiert Leben. Mikroorganismen schaffen dort eigentümliche Ökosysteme.

Das Grundrecht des Fuchses

Warum die Natur selbst zum Rechtssubjekt werden sollte

Lange Zeit der Zähmung

Über die Geschichte der Domestikation – von den wilden Vorfahren bis zu den uns vertrauten Nutztieren


Der erste Aussteiger

Leben in und mit der Wildnis: Über den schillernden Autor und Philosophen Henry David Thoreau

Strategien gegen das Domino-Prinzip

Wenn der Nachschub stockt, drohen die komplexen globalen Lieferketten zu reißen. Was macht sie robuster?

Eine neue Weltordnung


Was der Einmarsch Russlands in die Ukraine für das Zusammenleben der Völker und internationale Normen bedeutet


Die Zukunftsfrage

Wie können wir die digitale Infrastruktur gegen künftige Angriffe absichern?

Impressum

Das LMU-Magazin

Licht an – Was die Welt erstrahlen lässt

Nummer 1 / 2024

Echt jetzt – Natürlich, künstlich: Die Grenzen verschwimmen

Nummer 2 / 2023

Zusammenhalten – Vom Wert der Kooperation

Nummer 1 / 2023

Ruf der Wildnis – Was die Natur von uns verlangt

Nummer 2 / 2022

Muster des Fortschritts – Was uns voranbringt

Nummer 1 / 2022

Raus ins Leben – Eine Generation nach dem Lockdown

Nummer 2 / 2021