Journalismus und Künstliche Intelligenz

„Die nächste Killer-App lauert schon ums Eck“

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Dr. Bartosz Wilczek forscht zu Innovationen in Nachrichtenorganisationen, Dr. Maximilian Eder zu digitalem Journalismus. Im MUM-Interview erklären die LMU-Kommunikationswissenschaftler, wie Künstliche Intelligenz (KI) die Branche in kürzester Zeit revolutioniert hat, was das für die Ausbildung der Studierenden bedeutet und wie die Medienwelt der Zukunft aussehen wird

MUM: Herr Dr. Wilczek, Herr Dr. Eder, ChatGPT schlägt als Einstiegsfrage für dieses Interview vor, nach den Einsatzmöglich­keiten für KI im Journalismus zu fragen.
Bartosz Wilczek: Ein Beispiel also für die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Zur Antwort: KI wird inzwischen im Journalismus entlang der gesamten Nachrichtenwertkette eingesetzt: etwa bei der Themenfindung, beim Faktencheck, bei der Erstellung von Texten und bei der Distribution.
Maximilian Eder: Nicht zu vergessen die automatisierte Erstellung von Videos und Audioinhalten für unterschiedliche Ausspielwege.

MUM: Inzwischen werden Redaktionen um Mitarbeiterinnen wie zum Beispiel Klara Indernach (KI) erweitert. Wollen Menschen denn überhaupt von KI generierte Texte lesen?
Wilczek: Bisher kommen dazu aus der Forschung unterschiedliche Ergebnisse. Aber bei Texten, die viele Zahlen beinhalten, wie beim Sport oder aus der Finanzwelt scheint die Akzeptanz eher vorhanden zu sein.
Eder: Das ist auch eine Frage des Alters. Jüngere Nutzerinnen und Nutzer scheinen grundsätzlich aufgeschlossener zu sein. Aber bisher steht die Forschung dazu noch am Anfang und wird in den kommenden Jahren vertiefende Befunde liefern.

MUM: Werden Journalistinnen und Journalisten durch KI künftig ersetzbar oder entlastet?
Wilczek: Insgesamt sehen wir, dass eine Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine entsteht. Zum Beispiel: Journalistinnen geben die Themen vor, die KI produziert bestimmte Inhalte, und Journalist:innen kontrollieren und überarbeiten diese Inhalte. Dadurch haben sie mehr Zeit etwa für exklusive Recherchen oder Kommentare.
Eder: Die Ideen für beispielsweise einen Artikel hat letztlich der Mensch, er gibt die Richtung vor. Das kann KI – zumindest jetzt – nicht vollständig leisten.

MUM: Manchmal erfindet KI auch vermeintliche Fakten. Wie gefährlich ist es, Fake News aufzusitzen?
Wilczek: Es braucht in jeder Redaktion Richtlinien, wie KI-Tools zu verwenden sind. Damit beschäftigen wir uns auch in unserer Forschung. Jeder so erstellte Beitrag muss gründlich überprüft werden.
Eder: Den Menschen in den Redaktionen muss bewusst sein, dass die Programme Falschinformationen liefern können. Um die Gefahr abzuwenden, braucht es in den Redaktionen eine große „Awareness“, also ein Bewusstsein für solche Problemen und die damit verbundenen Herausforderungen.

MUM: Redaktionen suchen inzwischen Data-Analysten, Prompt-Engineers und Machine-Learning-Specialists. Nach klassischem Journalismus klingt das nicht.
Wilczek: Natürlich haben sich die Anforderungen in den Redaktionen verändert. Wir sind nach dem Aufkommen des Online-Journalismus‘ in der zweiten grossen Digitalisierungswelle. Die neuen Skills sind wichtig. Aber nicht jeder im Newsroom muss alles können. Es bilden sich Spezialisierungen heraus. Daher sind entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote wichtig.
Eder: Wir befinden uns in einer Umbruchphase. Dadurch entstehen neue Aufgabenfelder und Herausforderungen. Dazu braucht es künftig auch an Universitäten Zusatzangebote, damit die Studierenden mithalten können.

MUM: Ob ein Artikel erfolgreich ist, entscheiden mittlerweile die Klickzahlen. Besteht die Gefahr, dass dadurch über manche wichtige Themen weniger berichtet wird?
Wilczek: Gute Frage. Das hängt auch von der Strategie und dem Qualitätsanspruch einer Nachrichtenorganisation ab. Klickzahlen sind nicht der einzige Messwert für den Erfolg eines Artikels. Jedenfalls messen Algorithmen inzwischen beispielsweise, wie erfolgreich eine Überschrift ist – und passen sie bei Bedarf an. Das Spektrum an Tools erweitert sich.
Eder: Das Thema treibt viele alteingesessene Journalisten und Journalistinnen um. Beim Übergang zu KI befinden wir uns in einem Generationenkonflikt. Viele haben durch den Umbruch Aversionen und diffuse Ängste vor den neuen Technologien.

MUM: Inzwischen gibt es KI-Schreibsoftware wie Wordtune, die einem das Schreiben quasi abnimmt – inklusive grammatikalischer Fehleranalyse, stilistischem Feintuning und Faktencheck. Kann den Beruf bald jeder ausüben?
Eder: Der journalistische Beruf war hierzulande noch nie ein geschützter Begriff. Aber gute journalistische Texte schreiben wird vermutlich trotz KI auch zukünftig nicht jeder können. Um den Beruf auszuüben, braucht es Ausbildung, Studium, Volontariat und journalistisches Rüstzeug. Nur auf einen Knopf zu drücken, reicht nicht. Es braucht zudem Background-Wissen, eine ausführliche Recherche und einen guten Schreibstil. Das schafft keine KI. Dass große Zeitungshäuser planen, einen Teil ihrer Belegschaft durch KI zu ersetzen, ist vor diesem Hintergrund natürlich kritisch zu sehen.
Wilczek: KI ist ein zusätzliches Tool, das Journalistinnen nutzen können. Das entsprechende Wissen müssen etwa Universitäten, Journalismusschulen und Redaktionen vermitteln.

MUM: Wie sieht die Zukunft des Journalismus‘ aus?
Wilczek: Grundsätzlich sind sich Forschung und Praxis einig: Die Bedeutung von KI im Journalismus wird weiter zunehmen, die KI wird sich verbessern und sie wird sich stärker mit den Nachrichtenwertketten verzahnen. Gerade haben wir auch ein Projekt mit lokalen Zeitungshäusern, um gemeinsam verantwortungsvolle KI-Anwendungen zu entwickeln, d.h. KI-Anwendungen, die nicht nur die ökonomische Effizienz steigern, sondern auch bestimmte Qualitäts- und Ethik-Standards befolgen.
Eder: Die Frage lässt sich derzeit nicht seriös beantworten. Vor fünf Jahren hat noch fast niemand über die vielfältigen Möglichkeiten von KI geschrieben. Die nächste Killer-Applikation könnte schon ums Eck lauern.

 interview: dl

Dr. Bartosz Wilczek (links) forscht zu Innovationen in Nachrichtenorganisationen, Dr. Maximilian Eder zu digitalem Journalismus.

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