Die Bezeichnung 4MZ steht für das Münchner Mittelost-Mittelmeer-Mittelasien-Zentrum, das Forschung und Lehre über den vom Islam geprägten Kulturraum bündelt und das Wissen über den Islam auch einer interessierten Öffentlichkeit vermitteln will. Wie, das erklärt Professor Andreas Kaplony, Inhaber des Lehrstuhls für Arabistik und Islamwissenschaft und Sprecher des 4MZ.
MUM: Herr Professor Kaplony, Sie haben das 4MZ einmal als Ihr „neues Zuhause“ bezeichnet. Wie lange dauerte es denn, bis Sie das gemeinsame Dach über dem Kopf hatten?
Kaplony: Wir haben dieses Zentrum neu gegründet, aber wir hatten schon lange eine informelle Forschungszusammenarbeit, die ganz ähnlich funktionierte, mit dem Institut für den Nahen und Mittleren Osten im Mittelpunkt und mit befreundeten Professuren außen herum. Das war das Münchner Zentrum für Islamstudien, das es schon seit 2004 gab. Die Kooperation haben wir jetzt sozusagen institutionalisiert.
MUM: Was ist das Neue?
Kaplony: Wir hatten 20 Jahre lang eine Vorlesungsreihe mit Erkenntnissen aus der Forschung, das war eine schöne Sache, das haben wir jedes Jahr neu zusammengestellt. 2015, als die Flüchtlinge aus Syrien nach München kamen, da merkten wir, dass in der Öffentlichkeit falsche Auffassungen von Islam und islamischer Welt existieren und dass es nicht ums Wissen geht, das wir vermitteln müssen, sondern um grundlegende Konzepte. Wir sagten dann, wir machen die Vorlesung aus der Forschung weiterhin im Sommersemester, und im Wintersemester die Vorlesungsreihe „Basiswissen Islam“, die wir auch auf Video aufnehmen und zugänglich machen.
MUM: Welche Idee steckte dahinter?
Kaplony: Es war ein ganz wichtiger Impetus, nachzudenken: Wo sind denn schwierige Konzepte, die in der Öffentlichkeit falsch verstanden werden? Zum Beispiel: Was ist die islamische Welt, was sind Araber? Oder auch: Wie verhalten sich Koran und Bibel zueinander? Daraus hat sich eine engere Zusammenarbeit mit dem Wunsch und dem Willen entwickelt, sich das von der Hochschulleitung institutionalisieren zu lassen. Die Reihe richtet sich ganz bewusst an die breite Öffentlichkeit, auch an die nichtakademische. Die Kunst ist ja, Schwieriges mit einfachen Worten zu sagen. Das dient auch dazu, selber nachzudenken. Das ist ein wichtiger Prozess, bei dem ich selbst viel gelernt habe.
MUM: Wie wirkt sich auf Forschung und Lehre aus, dass nun eine Vielzahl von Disziplinen innerhalb und außerhalb der LMU im 4MZ zusammenarbeiten?
Kaplony: Im Mittelpunkt des Zentrums stehen sieben Fakultäten der LMU, neun Institute und zwölf Professuren sowie ihre Mitarbeitenden. Die Kernausbildung liegt beim Institut für den Nahen und Mittleren Osten, als dessen Vorstand ich auch Sprecher des 4MZ bin. Wir geben das kommentierte Vorlesungsverzeichnis heraus. Es gibt hier allgemeine Sprachausbildung in Arabisch, Hebräisch, Persisch und Türkisch. Und unsere Institutsbibliothek hat die Standardwerke, besonders auch die Editionen der grundlegenden Originalwerke. Die kulturwissenschaftliche Grund-Ausbildung liegt bei uns. Eine Fakultät der Universität der Bundeswehr kommt hinzu mit einem Institut und drei Professuren, die Akademie der Geisteswissenschaften, das Museum Fünf Kontinente und die Staatsbibliothek.
MUM: Welche Berufsziele verfolgen Ihre Studierenden?
Kaplony: Es gibt vier Bereiche. Ein Teil bleibt in der Forschung, ein Teil geht in den diplomatischen Dienst oder in den Außenhandel, andere in den Journalismus, und der vierte Weg ist der in die Sozialarbeit oder in die Aufgaben Polizei, Umgang mit Flüchtlingen oder auch Verfassungsschutz.
MUM: Mit der Schaffung des 4MZ verschwand auch der Begriff „Islam“ aus dem Namen des Zentrums und es kam die verstärkte Beschäftigung mit Christen- und Judentum hinzu. Was waren die Beweggründe?
Kaplony: Vor 20 Jahren hat man bei Islam mehr an Kultur gedacht, heute denkt man verengt mehr an Religion. Wir waren immer an Kultur im weitesten Sinn interessiert, konkret an dem Raum mit über einer Milliarde Menschen, der von der Kultur des Islam geprägt ist. Der Fokus auf die Religion trifft es aber nicht ganz, denn es gab immer sehr starke Minderheiten. Ich vergleiche das gerne mit dem British Empire: Eine ganz kleine Oberschicht von Briten herrschte über eine sehr breite Gruppe von Nichtbriten. In den ersten 600 Jahren der islamischen Geschichte waren die Muslime nicht in der Mehrheit. Christliche Minderheiten gehörten und gehören selbstverständlich dazu und das orientalische Judentum, Zoroastrier, Jesiden et cetera. Deswegen haben wir uns geografisch definiert, also Mittelmeer, Mittelost, Mittelasien.
MUM: Vor diesem Hintergrund noch einmal zurück zur Außenwirkung Ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit. Wie schwer ist es Ihrer Erfahrung nach, Klischees und Vorurteile abzubauen?
Kaplony: Es ist schwer, aber es lohnt sich. Ich hatte Besuch in meiner Sprechstunde von Leuten, die gar nichts verstanden haben und dem Islam gegenüber ganz ablehnend eingestellt waren. Auch da durfte ich erklären. Wir hatten am Anfang bis zu 600 Leute in der Vorlesung. Und dazu kommen natürlich die Klickzahlen der Videos. Das ist etwas abgeebbt. Aber in der Öffentlichkeit hat sich wirklich etwas verändert.
MUM: Woran erkennt man das?
Kaplony: Es gibt ein großes Wissenwollen, aber auch eine große Bereitschaft zu lernen. Wir sind ganz anderswo, als wir 2015 waren, auch im Wissen in der breiten Öffentlichkeit. Dazu ein Beispiel: Wir haben allgemein verstanden, dass Gewaltbereitschaft von Islamismus nicht eine Sache ist, die aus dem Islam erwächst, sondern dass Gewaltbereitschaft islamisiert wird. Es gibt ja auch linke und rechte Gewaltbereitschaft.
MUM: Könnten also Ihre Forschung und Lehre dazu beitragen, geopolitische Probleme im Nahen und Mittleren Osten besser zu verstehen und besser darauf zu reagieren?
Kaplony: Ich glaube, es ist unsere gesellschaftliche Verantwortung, das viele Wissen, das wir in der Islamwissenschaft haben, zu übersetzen in eine Sprache, die in der Öffentlichkeit verstanden wird. Wir haben wirklich viel zu erklären. Die deutsche Islamwissenschaft hat diese Aufgabe in der Vergangenheit vielleicht zu wenig angenommen. Aber jetzt ist es so weit, und wir machen das mit schönem Erfolg.
MUM: Wünschen Sie sich noch etwas für Ihr neues Zuhause?
Kaplony: Das Zentrum hat mittelfristig zwei Anliegen: Die Geschäftsführung machen wir im Nebenamt. Das ist Arbeit, und wir machen sie auch gerne. Es wäre hilfreich, wenn wir mittelfristig mehr Unterstützung bekämen. Mit Stellenprozenten. Denn das Zentrum ist ein Plus zu vielem dazu. Das zweite ist: Arabische, persische, türkische Kultur und die Subkultur Judentum im Orient – da sollten wir uns über eine zweite Subkultur noch mehr Gedanken machen können: das orientalische Christentum. Die LMU hat in diesem Bereich ein großes Angebot, wir träumen davon, dass es auch für das orientalische Christentum eine Professur gibt.
Interview: fue
■ www.naher-osten.lmu.de/4mz
■ https://www.naher-osten.uni-muenchen.de/4mz/basiswissen/basiswissen_islam_202324.html
Šāhnāma (Persisches Königsbuch)
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