Während der vergangenen digitalen Semester experimentierten Lehrende mit den unterschiedlichsten Medien. Eines hat – auch im Wortsinn – besonderen Anklang gefunden: der Podcast. Vor allem junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln neue Formate und verbreiten sie über Hochschul-Webseiten – aber auch über Streamingdienste.
Den roten Aufnahmeknopf drücken und dann präsent und auf den Punkt ins Mikro sprechen. Das ist aufregend. Auch wer den Auftritt vorm Auditorium kennt, wird beim ersten Einsprechen eines Lehrpodcasts im Heimstudio unterm Kopfhörer schwitzen. „Klingt meine Stimme gut genug?“ Diese Frage höre ich oft in meinen Workshops. Nach positivem Feedback anderer Teilnehmender ist diese Hürde meist genommen. Und es kann losgehen mit der auditiven Vermittlung von Lehrstoff. Der dann – on demand – von den Studierenden online abgerufen wird.
Neu sind Podcasts in der Lehre nicht. Bereits 2008 berichtete der Deutschlandfunk über Lehrende, die auf Sendung gehen, und verzeichnete einen Trend. Doch erst seit der Coronapandemie haben sich Audios als Lehrmedium wirklich etabliert. Eine hohe technische Qualität ist inzwischen selbstverständlich. Wurden früher oft Vorlesungen mit reichlich Raumhall aufgezeichnet, klingen die neuen Formate mehrheitlich professionell. Und in der Ansprache sehr selbstbewusst. Was übrigens auch für die Studierendenpodcasts gilt, die immer häufiger als Leistungsnachweise genutzt werden.
Podcasts in der Wissenschaftskommunikation
Als langjährige Hörfunkerin beobachte ich so etwas wie eine Zeitenwende in der Wissenschaftskommunikation. Mit Podcasts wie dem millionenfach gehörten Coronavirus-Update – und Videokanälen wie MaiLab – öffnen sich Türen zu aktueller Forschung. Wissenschaftliche Erkenntnisse verbreiten sich schneller und weiter. Nicht nur über Hochschulwebsites und Mediatheken, sondern auch über Streamingdienste, wie der Interviewpodcast des Unfallchirurgen Robert Hudek an der Universität Marburg auf Spotify.
Wer sendet, will eine bestimmte Wirkung erzielen. Die gilt es in der Entwicklungsphase eines Podcasts zu definieren. Sich dafür Zeit zu nehmen, rate ich jedem Podcaster und jeder Podcasterin in spe. Wer auf die Formatentwicklung verzichtet, wird möglicherweise in sein mediales Abenteuer hineinstolpern und mit dem falschen Fuß aufkommen. Denn eines sind Podcasts nicht: die ideale Form, um Informationen und Lehrstoff prüfungssicher in den Köpfen der Hörerschaft zu verankern. Das sind im Übrigen auch Vorlesungen nicht. Deswegen wird hier mitgeschrieben.
On demand Denkansätze und Diskurse kennenlernen
Zu den besonderen Qualitäten von Lehrpodcasts gehört, dass man Experten ihres Fachs beim Verfertigen ihrer Gedanken zuhören kann. Und so an wissenschaftliches Denken herangeführt wird. Host und Hörerinnen und Hörer gehen gewissermaßen gemeinsam durch ein Gedankengebäude, wie etwa im Soziopod der Grimme-Preisträger Nils Köbel und Patrick Breitenbach. Lehrende werden zu Gastgebern. (Host ist der Fachbegriff für alle, die einen Podcast haben.) Das Medium ist zeitlich linear. Das bedeutet, dass die Inhalte weniger verdichtet werden sollten als in einem Fachtext. Dialoge und Diskurse haben hier ihre Stunde.
Die angehenden – meist jungen – Wissenschaftspodcasterinnen und -caster in meinen Workshops kommen aus allen Fachbereichen: aus der Bodenkunde und der Informatik ebenso wie aus der Psychologie und der Städteplanung. Die Teilnehmenden entwickelten beispielsweise einen Medizin-Podcast, der beim Absetzen von Antidepressiva begleitet, oder einen Podcast zu japanischem Recht, der sich in seiner ersten Folge mit „Ersitzungen in den internationalen Rechtsbeziehungen“ beschäftigt. Und: Sie haben mich beide gefangen genommen.
Persönlichkeit und Stil fließen ein.
Die eine punktete schon im Intro mit Empathie und freundlicher Ansprache, der andere verführte durch anschauliche Szenen und Begeisterung fürs eigene Fach. Der eigene Stil entfaltet sich, meiner Beobachtung nach, häufig ganz nebenbei. Die Audiopersönlichkeit darf dabei durchaus Ecken und Kanten haben. Solange sie ihrem Publikum zugewandt ist.
Persönliche Schilderungen, die von Höhen und Tiefen der Forschungspraxis erzählen, laden zur Identifikation ein. Vielleicht sogar zum Mitfiebern. Podcasts können auch Recherchen abbilden. Sie eignen sich genauso für Anleitungen und Prozessbegleitungen, in denen die Adressatinnen und Adressaten eine Extraportion Motivation mitbekommen können. Fragen, auch rhetorische, helfen Studierenden bei der Auseinandersetzung mit dem Stoff. Oder ihrem erreichten Status Quo. Podcasten ist kein Monolog, sondern ein (zumindest gedachter) Dialog.
Eine besondere Nähe entsteht
Anders als im Hörsaal in der vorletzten Reihe, fühlen sich die Zuhörenden dem Host sehr nah – sie haben ja seine Stimme direkt im Ohr. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn man sich traut, mit dem Mikrofon zu spielen. Mal zu flüstern oder ein Zitat volltönend zu deklamieren.
Ganz Ohr sind wir auch, wenn uns auditive Delikatessen geboten werden. Wenn es akustisch etwas zu erfahren gibt: Originaltöne und Atmosphären, kurz O-Töne und Atmos. Auch die atmosphärischen Geräusche in einem Labor lassen sich einfangen. Orte können wir mit Gewinn begehen und belauschen, Menschen befragen und ihnen zuhören. In manchen Fakultäten warten reiche Audioarchive auf ihre Auswertung und Ausstrahlung. Ich hatte das Glück, im Workshop einen O-Ton der bedrohten Sprache !Xóõ aus Botswana zu hören.
Video versus Podcast
Hin und wieder werde ich gefragt, ob nicht einem Videokanal gegenüber einem Podcast der Vorzug zu geben sei. Immerhin komme hier noch das Bild dazu. Hierauf habe ich mehr als eine Antwort. Die erste: Ja, Visualisierungen helfen Studierenden beim Lernen. Sie nehmen aber auch gefangen und begrenzen so manchmal die eigene Auseinandersetzung mit dem Thema. Eine zweite Antwort: Wir alle kleben täglich sehr lange an Bildschirmen und Displays, Podcasts tun Augen und Nacken etwas Gutes. (Und als Lehrende muss man sich nicht vor einer Kamera um seine Frisur kümmern.)
Die dritte Antwort: Podcasts haben ihre eigenen Qualitäten.
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