Interview mit PD Dr. Monika Popp

"Wir brauchen Städte für Menschen, nicht für Autos"

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Die Vorteile des Radfahrens für Klima, Gesundheit und Lebensqualität in Städten sind bekannt. Warum fährt dann immer noch die Hälfte der Deutschen nicht Fahrrad? Dieser Frage ist das RadAktiv-Forschungsteam vom Department für Geographie der LMU nachgegangen. Die Ergebnisse zeigen: Mehr Menschen aufs Rad zu bringen, muss weder zeitaufwändig noch teuer sein. Team-Mitglied und Mobilitätsforscherin PD Dr. Monika Popp stellt das Projekt vor.

PD Dr. Monika Popp
PD Dr. Monika Popp

MUM: Frau Dr. Popp, 2008 fuhr fast jeder zweite Deutsche nicht Rad. Seit Corona boomt das Fahrradgeschäft. Sind die Deutschen jetzt eine Radfahrernation?
Monika Popp:
Nein, wir haben seit 2008 kaum Fortschritte gesehen. Der Anteil der Nicht-Radfahrer ist sehr konstant. Während Corona stieg aber tatsächlich die Nachfrage nach Fahrrädern, längere Lieferzeiten waren keine Seltenheit. Jetzt wird es spannend, ob die Menschen dabeibleiben oder wieder in ihre alten Routinen verfallen.

MUM: Sie haben im Rahmen des Projekts „RadAktiv“ untersucht, warum Menschen nicht Fahrrad fahren. Welche Gründe gibt es dafür?
Popp:
Wir haben festgestellt, dass das soziale Umfeld die Mobilitätspraktiken von Menschen entscheidend prägt. Wenn die Familie, Freunde und Bekannte nicht Rad fahren, sieht diese Gruppe das Fahrrad ebenfalls nicht als alltagstaugliches Verkehrsmittel an, sondern eher als etwas für die Freizeit oder Kinder. Das gilt übrigens sowohl für Menschen in der Stadt als auch auf dem Land. Zusätzlich haben wir uns mit sogenannten Mobilitätsbiografien auseinandergesetzt. Dabei zeigte sich: Einschneidende Lebensereignisse wie zum Beispiel ein Umzug, die Geburt eines Kindes oder ein Verkehrsunfall beeinflussen oft die Radfahrgewohnheiten.

MUM: Was muss passieren, damit diese Menschen (wieder) aufs Rad steigen?
Popp:
Aktuell setzt die Politik vor allem auf infrastrukturelle Maßnahmen wie neue Radwege. Das ist zwar richtig und wichtig. Unsere Untersuchungen zeigen aber: Das allein wird nicht reichen. Es braucht zusätzlich eine Mobilitätskultur, die das Radfahren fördert und unterstützt. In München gibt es schon erste gute Maßnahmen. Beispielsweise hat die Stadt verschiedene Angebote für Neubürgerinnen und Neubürger entwickelt, vom Radlstadtplan bis zu Einsteigerradtouren. Auch Kurse zur Fahrsicherheit sind ein wichtiger Baustein, danach fahren Menschen wieder mehr Rad. Sinnvoll sind ebenso Teststationen zum Ausprobieren von Fahrrädern oder Kindersitzen. Das Schöne ist: Diese Maßnahmen bringen viel, kosten aber relativ wenig.

MUM: Dänemark und die Niederlande werden oft als Vorbild für den Radverkehr genannt. Was können wir von ihnen lernen?
Popp:
Dort begann das Umdenken weg von der
autogerechten hin zu einer fahrradfreundlichen Stadt schon vor Jahrzehnten. Die Dänen haben ausgerechnet, dass die Gesellschaft pro gefahrenem Fahrrad-kilometer 23 Cent gewinnt, weil die Menschen gesünder sind und weniger externe Kosten entstehen. Der Autokilometer kostet die Gesellschaft durch Lärm, Luftverschmutzung, Unfälle und den Klimawandel hingegen 85 Cent. In skandinavischen Ländern werden diese Kosten unter anderem durch hohe Gebühren bei der Autoanmeldung direkt bei den Verursachern geltend gemacht. Dadurch überlegen sich die Menschen eher, ob als Zweitwagen nicht auch ein Fahrrad oder Lastenrad ausreicht. Zu Beginn gab es auch in Dänemark und den Niederlanden Widerstände. Das zeigt aber nur: Dranbleiben lohnt sich.

MUM: Der Platz in Städten ist begrenzt. Zunehmend werden in München und an anderen Orten Spuren für Autofahrer in Fahrradwege umgewandelt – das sorgt immer wieder für Streit.
Popp:
Wir müssen über eine Verkehrswende zulasten der Autofahrer nachdenken. Zum einen aus Klimaschutzgründen, zum anderen, weil die vielen Autos nachgewiesenermaßen die Lebensqualität reduzieren. Dadurch wird öffentlicher Raum belegt, der für andere Nutzungen dann nicht mehr zur Verfügung steht. Um Konflikte zu reduzieren, sollten Städte mehr experimentieren. Das hat sich auch bei den Pop-up-Radwegen in München gezeigt: Nach einem Jahr und kleinen Nachbesserungen war die Akzeptanz viel höher als zu Beginn. Auch bei Großprojekten wie in Barcelona, wo nicht nur Straßenabschnitte, sondern ganze Quartiere fahrrad- und fußgängerfreundlich wurden, zeigte sich: Am Anfang waren die Bedenken groß, nach zwei Jahren wollte die Mehrheit der Menschen das Konzept beibehalten. Plötzlich haben zum Beispiel Eltern gemerkt, dass ihre Kinder einen viel sichereren Schulweg haben.

MUM: Der Freistaat strebt an, dass bis 2025 20 Prozent aller Wege in Bayern mit dem Fahrrad oder E-Bike gefahren werden. Ist das realistisch?
Popp:
Wohl kaum (lacht). Sagen wir mal so: Vor der Pandemie waren es in München 18 Prozent, durch die Pandemie sind es aktuell noch ein paar Prozentpunkte mehr. München und einige andere Städte stechen in Bayern aber deutlich heraus. Der landesweite Durchschnitt lag bei der letzten Erhebung 2017 bei 11 Prozent. Um auf 20 Prozent zu kommen, müssten sich die Zahl also bis 2025 verdoppeln. Andere Länder wie Niederlande und Dänemark zeigen jedoch, dass dieses Ziel keinesfalls utopisch ist.

MUM: Radfahrer waren 2016 an über 25 Prozent aller Unfälle beteiligt, obwohl sie nur elf Prozent des Verkehrsaufkommens ausmachen. Was muss passieren, damit Fahrradfahren sicherer wird?
Popp:
Darum geht es in unserem neuen Forschungsprojekt „SiRa“. Oft werden nur Unfallzahlen und Statistiken erhoben. Uns geht es darum, herauszufinden, wie es sich mit dem Sicherheitsempfinden der Menschen verhält. Dazu haben wir Menschen unabhängig von Herkunft und Fahrkönnen vom Münchner Olympiapark zum Odeonsplatz radeln lassen. Ihre Fahrt wurde mit einer Helmkamera aufgezeichnet. Anschließend haben wir die Teilnehmenden befragt, an welchen Stellen sie sich warum sicher oder unsicher gefühlt haben. Wir hatten mit einem klaren Bild gerechnet, aber die Lage war unabhängig von der Infrastruktur sehr unübersichtlich. Bei der Verkehrssicherheit spielt also auch viel Situatives wie der Verkehr oder die Anzahl der Fußgänger eine Rolle. Und natürlich auch die eigene Einschätzung der Situation durch die Radfahrenden. Damit wird klar, dass gebaute Gegebenheiten wie Fahrradinfrastruktur nicht für alle gleichermaßen funktionieren, sondern situativ und subjektiv sehr unterschiedlich wahrgenommen werden können. Diese Erkenntnis muss bei zukünftigen Rad-verkehrsprojekten viel stärker beachtet werden.

Interview: dl

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