Dr. Jana Antosch-Bardohn ist stellvertretende Leiterin von Profil, einer Einrichtung für die persönliche Weiterqualifizierung von Lehrenden an der LMU. Seit 2007 schult sie auch in Kreativitätstechniken. Im Interview erläutert sie, wobei kreative Methoden in der Lehre helfen können.
MUM: Wofür ist Kreativität in der Lehre gut? Lernen die Studierenden dann besser oder soll es einfach mehr Spaß machen?
Jana Antosch-Bardohn: Beides. Die Motivation ist ein großer Aspekt. Aber wir wollen auch die Studierenden zum Weiterdenken anregen. Sie sollen ja nicht nur konsumieren und reproduzieren, sondern Neues schaffen. Die Universität ist eine große Produktionsstätte von neuen Ideen, neuen Forschungshypothesen und -ansätzen. Deswegen sollten wir schon im ersten Semester eine kreative Kultur weiterentwickeln.
MUM: Wann helfen Kreativitätstechniken in der Lehre?
Antosch-Bardohn: Wenn ich neue Lehrveranstaltungen konzipiere, aber auch, wenn ich mit Studierenden arbeite. Ich selbst setze sie voller Überzeugung ein. Es verändert auch die Beziehung zu den Studierenden. Man schafft dadurch eine gute Verbindung. Was ich zum Beispiel in der Onlinelehre gerne mache, wenn ich ein neues Thema anfange, ist eine sogenannte Flip-Flop-Technik, die auch Reverse (umgekehrtes) Brainstorming oder Kopfstandtechnik heißt. Dabei stelle ich eine Frage nicht geradeaus, sondern drehe sie um. Also ich frage zum Beispiel nicht: Wie motiviere ich mich zu lernen. Sondern: Wie schaffe ich es, dass ich meinen Lebtag nicht mehr lerne? So fällt einem viel mehr ein und es macht Spaß, darüber nachzudenken. Und im zweiten Schritt dreht man die Ideen dann um. Mit dieser Technik aktiviere ich das Vorwissen bei den Studierenden und ich kann im Laufe des Seminars immer wieder an ihre Ideen anknüpfen.
MUM: Geht es also darum, den Gedanken eine andere Richtung zu geben?
Antosch-Bardohn: Ja, genau. Das konvergente Denken ist zwar wichtig, und auch das brauchen wir in kreativen Prozessen. Aber generell geht es bei Kreativitätstechniken darum, nicht nur geradeaus, sondern auch divergent zu denken. Das heißt: flexibel andere Perspektiven einzunehmen.
MUM: Wie sehr nutzen Lehrende und Studierende bereits solche Techniken?
Antosch-Bardohn: Wo es sich gut etabliert hat, ist bei Schreibblockaden. Aber ansonsten sieht es noch ziemlich düster aus. Dabei gibt es viele Techniken, die einem Hürden nehmen und helfen, den Stoff anders zu betrachten. Diese Methoden können zum Beispiel Studierende dabei unterstützen, ihre Fragestellungen für ihre Bachelor- oder Masterarbeit zu schärfen. Oder, wenn die Abgabefrist eines Papers naht, den Prozess zu optimieren, damit es rechtzeitig fertig wird. Oder wenn ein Vortrag ansteht, kann ein negatives Brainstorming im Vorfeld helfen, Gegeneinwände zu antizipieren.
MUM: Welchen Rahmen braucht kreatives Arbeiten?
Antosch-Bardohn: Grundsätzlich geht es immer um die persönliche Einstellung. Wenn man seine Sachen abarbeitet, ohne nach links und rechts zu schauen, oder Stress hat, ist es schwierig, kreativ zu sein – obwohl manche sprudeln, wenn sie eine harte Deadline haben. Aber eine grundsätzlich kreative Haltung hilft, sich zum Beispiel zu sagen: Heute versuche ich es mal anders. Es liegt viel an mir als Dozentin, ob die Studierenden neugierig und offen sind. Wer daran interessiert ist, kreativ zu arbeiten, braucht nicht unbedingt eine bestimmte Methode, sondern stellt automatisch Fragen, die den Blick weiten. Aber kreative Techniken unterstützen dabei, sie geben eine Systematik, die hilft, Schritt eins, zwei, drei zu machen und dann – Kawumm – kommt etwas Originelles dabei heraus und es hat auch noch Spaß gemacht.
MUM: Funktioniert das auch online? Wie viel Kreativität hat uns Corona abverlangt?
Natürlich ist es viel einfacher, wenn ich einen anregenden Raum habe, der flexibel einsetzbar ist. Wenn Sie mich vor zwei Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt: Ein Kreativitätsseminar mache ich nur in Präsenz. Seit eineinhalb Jahren biete ich das auch online an. In Präsenz ist es besser, aber online geht es auch, eben anders. Ich kann zum Beispiel Break-out-Sessions machen, damit Studierende gut in Kontakt miteinander kommen, und sie mit provokanten Fragestellungen anstupsen. Was wir alle gesehen haben, ist, wie dieser Einschnitt „Wir können uns nicht mehr treffen“ unsere Kreativität geboostet hat. Manchmal ist es tatsächlich gut, eine Einschränkung zu haben. Um diese zu überwinden, setzen wir kreatives Potenzial frei. Auf eine gewisse Weise hat Corona unsere Kreativität beflügelt.
Braucht es auch Vertrauen in der Gruppe, damit man sich überhaupt traut, spontane Einfälle zu äußern?
Erst einmal geht es darum, eine gute Lernatmosphäre zu kreieren, eine gute Lernverbindung zueinander zu haben. Wenn ich fünf Sitzungen Frontalvortrag mache und in der sechsten ein verrücktes Brainstorming, wird das nicht klappen, weil dann die Barriere zu hoch ist. Dazu gehört, dass auch Fehler möglich sind. Es braucht Vertrauen, das Gefühl, auf Augenhöhe wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Und die Studierenden müssen merken, dass ihre verrückten Perspektiven gewollt sind.
Können Sie ein Beispiel für eine typische Fehlannahme über Kreativitätstechniken geben?
Der Begriff Brainstorming wird inflationär gebraucht und dabei wird eine wichtige Regel oft missachtet. Sie lautet: In kreativen Prozessen wird nicht bewertet, das kommt erst später. Erst einmal wird alles zugelassen. Der häufigste Fehler ist, dass wir dieses Monitoring nicht abschalten können und einer sofort sagt „das ist doch Quatsch“. Das ist eine sogenannte Killerphrase, die zu Schweigen führt, und dann bleiben gute Ideen unausgesprochen. Dabei kann jede Idee, auch wenn sie am Ende nicht gut sein sollte, einen wichtigen Impuls geben, eine Assoziation auslösen, die dann zu einem tollen Ergebnis führt. Eine weitere Regel ist: spinnen. In den verrückten Ideen steckt das hohe Potenzial. Wenn wir out-of-the-box denken wollen, müssen wir genau die zulassen. Ich sage in meinen Seminaren immer: Ihr müsst verrückt denken, wegspringen von der Realität, damit euch etwas Neues einfällt. Ich hatte einmal einen Teilnehmer in einem Seminar, der konnte das erst nach eineinhalb Tagen zulassen. Dann hat er endlich gesagt: Jetzt sage ich halt auch mal einen Schmarrn.
Können eigentlich alle kreativ sein?
Es ist eines der häufigsten Vorurteile, dass dem nicht so sei. Ich höre oft von Teilnehmern: Ich kann nicht gut malen, ich bin nicht kreativ. Aber es geht ja um die kognitive Kreativität, darum, wie wir aus unserem normalen Denken mal in andere Richtungen gehen. Jeder Mensch hat ein gewisses Maß an kreativem Potenzial, das sich durch Training auf ein individuelles Niveau steigern lässt.
Und wenn einem trotzdem mal nichts einfällt?
Was wir nicht machen dürfen, wenn wir ein Problem haben und nicht weiterkommen, ist dranbleiben. Das Beste ist, die Fixaktion zu überwinden, das Problem zu vergessen. Abstand zu nehmen und dann wieder zurückkommen. Eine wichtige Phase im kreativen Prozess ist die Inkubationsphase. Sie kommt nach der Problemanalyse: Man merkt dabei gar nicht, dass man etwas tut, aber im Gehirn bauen sich Strukturen um, und plötzlich macht es Plopp und die Idee ist da – das kann auch unter der Dusche oder beim Spazierengehen sein.
Kreativität für die Wissenschaft: Wie Sie kreative Methoden in Forschung und Lehre einsetzen. Von Jana Antosch-Bardohn,
utb Paderborn 2021, 131 Seiten
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