Eineinhalb Jahre war es in Bayern nicht möglich, in einen Club zu gehen. In dieser Zeit wurde viel über Wirtschaftshilfen, nicht aber über die soziale Komponente gesprochen. Denn Clubs sind mehr als Unternehmen, es sind magische Orte und Schutzräume, in denen junge Menschen den Alltag vergessen, tanzen, flirten und sich ausprobieren können. Selbst wenn sie wieder geöffnet haben, bleibt die Frage: Kommt die Unbeschwertheit zurück?
Nur eine Nacht mal wieder ausgehen: Das steht ganz oben auf der Wunschliste von Kilian Steinberg. Vor der Pandemie war der damalige LMU-Informatikstudent regelmäßig mit seinen Freunden in Münchner Techno-Clubs unterwegs. Das ist jetzt seit über eineinhalb Jahren nicht mehr möglich gewesen. „Clubs unterbrechen den Alltag“, erklärt der 23-Jährige. Abschalten, Stress loswerden, tanzen, reden, flirten. „Durch die Clubschließungen ist ein Ort verloren gegangen, an dem man sich ausprobieren kann.“ Gerade für Studierende, die neu in der Stadt sind, sei es natürlich wahnsinnig schwer gewesen, in dieser Zeit neue Freunde kennenzulernen. DJ-Livestreams waren für Kilian keine Alternative: Er schätzt vor allem das Gefühl, im verheißungsvollen Dunkel als einer unter vielen zu feiern. Ein weiterer negativer Aspekt an der Zwangspause sei, dass die Subkultur in München weiter abnehme.
Tatsächlich gab es laut Statistischem Bundesamt in Deutschland schon 2019 nur noch rund 1.400 Diskotheken und Tanzlokale – das ist fast ein Drittel weniger als noch 2012. Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor. Durch die monatelangen Schließungen dürfte es aber nicht besser geworden sein. Wie wichtig Musikspielstätten für die Kultur in Deutschland sind, zeigt die vom Staatsministerium für Kultur und Medien finanzierte Studie der Initiative Musik. In normalen Zeiten finden bundesweit täglich mehr als 500 Musikveranstaltungen statt, die pro Jahr von 50 Millionen Gästen besucht werden. Das ermöglicht es jedes Jahr 260.000 Künstlerinnen und Künstlern aufzutreten. „Die Auswirkungen der Coronapandemie auf das Sozialverhalten von Jugendlichen reicht aus unserer Sicht aber weit über die Schließung von Clubs und Diskotheken hinaus“, sagt ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Studien dazu seien aber nicht bekannt.
„Die Clubszene wird sich nachhaltig verändern“
Der Moderator und Musikjournalist Markus Kavka braucht für seine Einschätzung keine Erhebungen. „Die Club- und Kulturszene wird sich im Zuge der Corona-Krise nachhaltig verändern. Und natürlich nicht zum Guten“, sagt er in einem Interview. Man dürfe nicht unterschätzen, wie viel der Austausch auf der Tanzfläche zum sozialen Frieden beitrage. „In einem Club können sich Menschen aller Hautfarben und aller sexuellen Ausrichtungen begegnen, was Vorurteile abbauen hilft“, betont Kavka. Die Verantwortung für die Situation der Clubbranche sieht der Musikjournalist bei der Politik. „Ich empfinde es als unverantwortlich und nicht nachvollziehbar, wie wenig die das auf dem Schirm hat.“ Die Debatte drehe sich ausschließlich um die Menschen und ihre Jobs, nicht um „die soziale Komponente, die Clubkultur hat“. Immerhin wurden Clubs im Mai vom Bundestag rechtlich mit Kultureinrichtungen gleichgestellt – davor waren sie auf einer Stufe mit Spielhallen und Bordellen.
Die Clubschließungen treffen auch die LMU. Das Institut für Kunstpädagogik bietet seit 1995 Seminare zu experimentellen Videoarbeiten an, die zum Seminarabschluss regelmäßig mit einem VJ-Live-Einsatz in Clubs wie dem Harry Klein enden. „Der Bewegtbild-Bereich ist nach unserer Philosophie nie zu trennen von einer Erfahrung von Raum, Sound und anderen Menschen“, erklärt Dr.
Daniel Botz. Aus diesem Grund könnten auch Video-
Seminare und Streaming-Events kein Ersatz sein. Er befürchtet, dass durch Corona DJs und VJs auf der Strecke bleiben, da sie lediglich als „Unterhaltung“ wahrgenommen werden. „Dabei ist der Besuch im Club für mich immer künstlerisch genauso wichtig und inspirierend gewesen wie der Besuch einer Ausstellung, ein Fest für alle Sinne“, unterstreicht Botz. Auch seien Clubs für gesellschaftliche Minderheiten wichtige Orte der Identität und Schutzräume gewesen, zum Beispiel für die LGBTQ-Bewegung. „Da geht es nicht nur um Konsum und Feiern.“
„Es fehlt ein Teil des Lebens. Es fehlt die spontane Ausgelassenheit. Es fehlt das Ventil. Es fehlt das zufällige Zusammenkommen mit vielen anderen, die denselben Sound erleben wollen. Und es fehlt auch das Gefühl, mit den eigenen Bedürfnissen anerkannt zu werden“, sagt David Süß vom Verband der Münchener Kulturveranstalter. Zu den Mitgliedern gehören unter anderem Clubs wie 089, Backstage, Call me Drella, Feierwerk, Harry Klein, Milchbar, Neuraum, Pacha, Pimpernel oder die Rote Sonne. Es sei mit einer großen Traurigkeit verbunden, all die Orte ungenutzt zu wissen. „Das magische an einem Club ist auch, wie unscheinbar die bei Putzlicht sind und wie wunderbar mit Menschen, mit Musik und all dem Leben.“ Süß hätte sich vor allem im Sommer mehr Angebote für junge Menschen im Freien gewünscht. „Es fehlte das klare Zeichen: Wir wissen um Eure Bedürfnisse und wir helfen Euch, diese möglichst sicher auszuleben.“
Studieren ohne Ausgehen? „Ein Weltuntergang“
Der Bundesverband deutscher Discotheken und Tanzbetriebe im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) bezeichnete die Lage als „katastrophale Ausnahmesituation“. „Die Politik hat unterschätzt, wie wichtig Lebensfreude für den Zusammenhalt in einer Pandemie ist“, sagt Bayerns Dehoga-Chef Dr. Thomas Geppert. Es sei immer nur über Systemrelevanz gesprochen worden, dabei haben Orte, an denen Menschen zusammenkommen, eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Er forderte schon lange, auch in Bayern über Öffnungsperspektiven nachzudenken. „Das sind wir den jungen Menschen schuldig, die inzwischen am meisten zurückstecken müssen.“ Der Moment, als das Ausgehen verboten wurde, habe ihm aus Mitleid beinahe „das Herz zerrissen“. „Ich habe in Bamberg studiert und promoviert“, erinnert sich Geppert. „In dieser Zeit nicht feiern zu können, wäre für mich ein Weltuntergang gewesen.“
Immerhin ist LMU-Psychologe Prof. Dr. Dieter Frey überzeugt, dass der jungen Generation kein Lebensgefühl verloren geht. „Natürlich fehlt durch den Wegfall einer gewissen Unbeschwertheit ein schöner Baustein des Erwachsenwerdens.“ Nicht über die Stränge schlagen zu können, dürfte sich gerade in dieser Lebensphase besonders einschränkend anfühlen. Frey glaubt aber, dass junge Menschen vieles nachholen und zukünftig auch wieder mehr feiern werden. „Gottseidank“, schiebt der Leiter des LMU Center for Leadership and People Management hinterher. Auch um den Club-Nachwuchs macht er sich trotz der langen Schließungen keine Sorgen. „Es gibt genügend Neugierde, zum Beispiel durch Erzählungen von den älteren Geschwistern und Freunden.“ Frey glaubt aber, dass es künftig mehr Open-Air-Events geben wird und öffentliche Plätze in Universitätsstädten beliebter werden. Ein Problem bleibt aber weiterhin bestehen: „Viele Jugendliche haben mir erzählt, dass ihre Smalltalk-Fähigkeiten eingerostet sind, weil sie die letzten eineinhalb Jahre nur über Corona gesprochen haben.“
(dl)
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