MUM: Frau Professorin Weßels, gleich mal vorweg: Wenn Studierende in Haus- oder Prüfungsarbeiten KI-generierte Texte übernehmen, ist das ein Plagiat?
Weßels: Ich bin keine Juristin, sondern Wirtschaftsinformatikerin, aber Ihre Frage kann ich beantworten und sie ist juristisch abgesichert: Das Generieren von Text mit KI-Sprachmodellen wie ChatGPT ist kein Plagiat, weil der Begriff des Plagiats unterstellt, dass es ein Original gibt, mit dem dann dieser Text eine entsprechende Ähnlichkeit aufweist. Genau das ist bei diesem Text nicht der Fall, weil es kein Original im engeren Sinne gibt. Wenn man sich anschaut, wie der KI-Text aus einzelnen kleinteiligen Wortbausteinen zusammengesetzt ist, erkennt man, dass ein Unikat generiert wird. Das ist kein Plagiat, doch wenn ich versuche, das zu verbergen, ist es eine Täuschung.
MUM: Es gibt ja die Eigenständigkeitserklärung. Braucht man eine neue Kennzeichnungspflicht, wenn Textverarbeitung oder -generierung verwendet wurde?
Weßels: Ja, das ist genau in der Diskussion. Ich habe schon in einem früheren Beitrag in der ZEIT darauf hingewiesen, dass wir jetzt dringend die urheberrechtlichen Fragen klären, das Urheberrecht reformieren und es den veränderten Rahmenbedingungen anpassen müssen. Es ist alles in Bewegung, aber es ist nach meinem Eindruck zu spät in Bewegung gekommen. Denn die großen KI-Sprachmodelle sind nicht mit ChatGPT vom Himmel gefallen, sondern der Hersteller OpenAI hat bereits 2018 mit GPT-1 die erste Version seines KI-Sprachmodells veröffentlicht. Man hätte das Problem also schon vor fünf Jahren sehen und sich Gedanken machen müssen, wie man diese digitale Innovation mit ihren disruptiven Auswirkungen steuert.
„Der regulatorische Rahmen hinkt leider der technologischen Entwicklung deutlich hinterher – auch an Hochschulen. Für Studierende und Lehrende bedeutet das ein hohes Maß an Unsicherheit.“
MUM: Wie sieht es in der aktuellen Praxis aus?
Weßels: Früher gab es eidesstattliche Versicherungen, heute werden sie häufig als Eigenständigkeits- oder Selbstständigkeitserklärung betitelt. An den Hochschulen sind viele Varianten anzutreffen, die nun an die veränderten Rahmenbedingungen im KI-Zeitalter angepasst werden müssen. Das stellt viele Justiziare an Hochschulen, aber auch Präsidien, offensichtlich vor große Herausforderungen. Der regulatorische Rahmen hinkt leider der technologischen Entwicklung deutlich hinterher – auch an Hochschulen. Für Studierende und Lehrende bedeutet das ein hohes Maß an Unsicherheit, für Studierende auch viele Sorgen, weil sie nicht wissen, welche Regeln gelten und welche Regelverstöße ihnen unterstellt werden könnten.
MUM: Welche Probleme sind es denn?
Weßels: Diese Technik ist ubiquitär und omnipräsent, weil sie integraler Bestandteil der Office-Werkzeuge wird, und zwar herstellerübergreifend. Dazu gehören auch klassische Textverarbeitungssysteme. Sehr beliebt sind Übersetzungssoftware-Lösungen wie etwa DeepL, das ist auch geballte KI. Es stellt sich daher die Frage der Abgrenzung eingesetzter KI-Werkzeuge, wenn sie deklarationspflichtig sind. Müsste ich also alle Werkzeuge angeben, mit denen ich arbeite, von Word über Google bis zu anderen Suchmaschinen? Diese Fragen müssten fairerweise gemeinsam mit den Studierenden geklärt werden. Das ist natürlich auch wieder schwierig, weil die Entwicklung so schnelllebig ist. Daher dürfen wir diesen Prozess nicht als statisch betrachten, sondern müssen diese Entwicklung kontinuierlich verfolgen und uns ständig neu justieren. Ich habe im Mai/Juni letzten Jahres eine neue Form der Erklärung vorgeschlagen: Eigenständigkeits- und Kennzeichnungserklärung.
MUM: Was ist das Neue daran?
Weßels: Da wir noch nicht einmal eine einheitliche Definition des Begriffs „Künstliche Intelligenz“ haben, ist eine präzise Unterscheidung in KI- und Nicht-KI-Tools auch nicht möglich. Daher sollten alle IT-gestützten Tools als Werkzeuge genannt und in einer eigenen Rubrik aufgeführt werden. Welche Tools habe ich verwendet und zu welchem Zweck? Das reicht. Und am Ende muss man bestätigen, dass man den generierten Content, wie Text, Tabellen oder Abbildungen, gewissenhaft geprüft und diese Tools verantwortungsvoll eingesetzt hat. Wir als Menschen tragen beim Einsatz dieser Mittel letztlich die persönliche Verantwortung. Das ist schon in der Wissenschafts-Community weitestgehend Konsens, und das empfehle ich den Hochschulen: Schaut euch an, wie wissenschaftliche Verlage damit umgehen. Dort haben sich recht schnell für die Einreichungen wissenschaftlicher Beiträge von Autorinnen und Autoren Konventionen im Umgang mit generativer KI entwickelt. Das können wir eins zu eins übernehmen. Mich wundert nur, dass das so wenig bekannt ist.
MUM: Wenn ein Studierender alles schön deklariert hat, kann die Universität überprüfen, ob dies alles korrekt ist?
Weßels: Bei KI-generiertem Content ein klares Nein. Das ist durch viele Studien abgesichert, die KI-Detektoren untersucht haben. Sie arbeiten nicht zuverlässig. Softwarelösungen für die Plagiatserkennung greifen natürlich auch nicht, weil letztlich Unikate entstehen.
MUM: Müssen sich also Lehrende und Lernende jetzt zusammensetzen, um gemeinsame Formen der Kooperation zu finden?
Weßels: Ja genau, die Potenziale der Partizipation werden bisher viel zu wenig genutzt. Es sollte viel mehr Austausch mit allen Beteiligten geben. Gerade die Lernenden werden häufig vergessen. Aber es betrifft auch die rechtliche Seite, die Justiziare, die Leiter von Prüfungsämtern und die Präsidien. Eigentlich müssten alle Stakeholder an einem Tisch sitzen und gemeinsam überlegen, wie dieser neue Prozess zu gestalten ist. Denn es stellt sich auch gleich die Frage der Benotung. Ein Beispiel: Ein Student hat in einer Hausaufgabe alle Tools angegeben, aber die eigene Leistung ist nur noch minimal und das Ergebnis nur so toll, weil die Tools so leistungsstark waren. Er bekommt dann ja als Mensch die Note, aber macht das noch Sinn und darf das Gegenstand einer Bewertung sein, wenn die Eigenleistung so gering ist? Das ist eine große Baustelle. Je leistungsstärker die Tools werden, desto geringer ist die Eigenleistung, wenn die Aufgabenstellung nicht verändert wird. Daher stehen unsere bisherigen Kompetenzziele auf dem Prüfstand. Wir müssen natürlich Aufgabenstellungen im Sinne von Hausarbeiten vermeiden, die von GPT & Co. in kürzester Zeit erfolgreich gelöst werden können.
„Unsere bisherigen Kompetenzziele stehen auf dem Prüfstand. Wir müssen Aufgabenstellungen im Sinne von Hausarbeiten vermeiden, die von GPT & Co. in kürzester Zeit erfolgreich gelöst werden können.“
MUM: Wären Schreibwerkstätten eine geeignete Methode, um sich gemeinsam an den Umgang mit KI heranzuarbeiten?
Weßels: Ja. Ich habe 2022 gemeinsam mit dem assoziierten Partner KI-Campus und weiteren Expertinnen, Experten sowie Lehrenden deutscher Hochschulen aus den Bereichen Informatik, Bildungsforschung und Schreibdidaktik das Virtuelle Kompetenzzentrum „Schreiben lehren und lernen mit Künstlicher Intelligenz – Tools und Techniken für Bildung und Wissenschaft“ gegründet.
Da wir bereits seit 2020 intensiv zusammengearbeitet und die Entwicklung des KI-gestützten Schreibens über die letzten Jahre verfolgt hatten, war uns klar, dass wir dringend Aufklärungsarbeit an Hochschulen leisten müssen. Wir möchten, dass sich die Teilnehmenden in unseren Workshops mit diesen Herausforderungen intensiv auseinandersetzen, ein Grundverständnis für die Technologie entwickeln, ihre Ideen für den Umgang mit dieser disruptiven Entwicklung austauschen und sie in ihren Netzwerken weitergeben. Was mich besorgt, ist, dass diejenigen, die sich nicht aktiv damit beschäftigen, angesichts des hohen Tempos der Veränderung dauerhaft abgehängt werden könnten. Daher sind insbesondere Hochschulleitungen derzeit intensiv gefordert, alle Lehrenden mit auf den Weg der Veränderung zu nehmen und sie auf diesem Weg kontinuierlich zu unterstützen.
MUM: Was bedeutet das für Universitäten?
Weßels: Ganz wichtig ist, dass wir den Hochschulen diese Geschwindigkeit deutlich machen. Wir sind Getriebene in diesem Prozess der Veränderung. Das Tempo geben nicht wir vor. Es wird uns von außen durch die Tech-Giganten der Welt vorgegeben, die uns ihre kommerziellen Interessen jeden Tag deutlich aufzeigen. Daher ist es so wichtig, dass wir für unsere digitale Souveränität in Deutschland beziehungsweise Europa viel intensiver und mit mehr Tempo kämpfen.
> Interview: fue
Doris Weßels ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Kiel. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich Projektmanagement und Natural Language Processing. Sie forscht zudem dazu, wie Künstliche Intelligenz Lehre und Lernen an Hochschulen beeinflusst.
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