Von Archäologie über Mathematik bis Theaterwissenschaft – auch die Lehre an der LMU nimmt immer stärker die Künstliche Intelligenz (KI) in den Blick. Dozierende und Studierende befassen sich dabei interdisziplinär nicht nur mit Algorithmen und Anwendungen, sondern auch mit Grenzen und Risiken der modernen Werkzeuge. Und auch die Lehre selbst verändert sich durch KI zunehmend.
„Mit KI hat jeder Studierende seinen persönlichen Hiwi an der Hand“, erklärt Professorin Frauke Kreuter. „Einen, der supereffizient ist, aber auch Fehler macht und zuweilen Dinge erfindet.“ Kreuter, Inhaberin des Lehrstuhls für Statistik und Data Science in den Sozial- und Geisteswissenschaften, gehört zur wachsenden Zahl von Dozierenden an der LMU, die Methoden, Anwendungen und Risiken von KI an ihre Studierenden weitergeben – von Assyriologie über Betriebswirtschaftslehre bis zu Mathematik und Pädagogik.
In den Sozialwissenschaften, erklärt Frauke Kreuter, sind gerade Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT interessant. „Bei der wissenschaftlichen Recherche können sie das Feld zwar noch nicht durchdringen, aber doch grundlegende Erkenntnisse wiedergeben und zusammenfassen.“ Darüber hinaus könnten sie Analysecodes für sozialwissenschaftliche Statistikanalysen schreiben. „Ich mache also eine Spracheingabe dazu, welche Analyse ich brauche, und bekomme den passenden Code. Das ist eine unglaubliche Erleichterung, mit der sich selbst komplexe Programmiersprachen wie Python oder R allen Fachrichtungen eröffnen.“
Die neuen Werkzeuge unterstützten zudem Textproduktion und Datenerhebung. „Die Herausforderung ist es, sie sinnvoll zu integrieren. Wir motivieren Studierende etwa, mit KI einheitliche Quellenlisten zu erstellen oder Fragebögen für empirische Hausarbeiten auszuformulieren“, so Kreuter. „LLMs können sie sprachlich so einer Zielgruppe anpassen, dass beispielsweise ein Sechstklässler sie versteht – und noch in 24 Sprachen übersetzen. Das ist eine unglaubliche Zeitersparnis.“
„Mit einem vertrauten Thema ausprobieren“
Lehrveranstaltungen zu KI in den Sozialwissenschaften gingen nicht in die mathematische Tiefe, sondern erklärten die Anwendungsweisen, Chancen und Risiken. „Unser Ansatz ist der einer Fahrschule“, so Frauke Kreuter. „Wir erklären die Verkehrsregeln, die Handhabung des Autos und wie man es sicher durch den Straßenverkehr lenkt, aber nicht, wie die Karosserie gebaut ist und der Motor funktioniert.“ Wie ihre Fachkollegin Dr. Anna-Carolina Haensch erklärt, nutzten nur wenige Studierende bislang intensiv KI, sondern machten „höchstens mal eine kleine Quatschanfrage“. Dabei rät sie, KI durchaus auch für die wissenschaftliche Arbeit auszuprobieren. „Gerade mit einem vertrauten Thema – um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo sie helfen kann und wo nicht.“
Denn gerade bei der Zuverlässigkeit, so Frauke Kreuter, gebe es noch „große Fragezeichen“. Deshalb beteiligt sie sich an der Konrad Zuse School of Excellence in Reliable AI. Dieses Weiterbildungs- und Forschungsprogramm, jüngst von LMU und Technischer Universität München (TUM) gegründet, lehrt Masterstudierende und Promovierende die Hintergründe solcher Zuverlässigkeitsprobleme. Wie die Direktorin auf LMU-Seite, Professorin Gitta Kutyniok, erklärt, spiegeln sich Letztere nicht nur im EU AI Act und dem Hiroshima-AI-Protokoll der G7 wider, sondern auch in der Tatsache, dass selbstfahrende Autos noch immer nicht straßenverkehrstauglich sind.
„Schon Aufkleber auf Verkehrsschildern können das System zu falschen Entscheidungen verleiten, während in der Medizin falsche Diagnosen erzeugt oder im MRT-Bild Strukturen ‚halluziniert‘ werden“, so Kutyniok, die den LMU-Lehrstuhl für Mathematische Grundlagen der Künstlichen Intelligenz innehat. Die Konrad Zuse School lehrt neben „Medizin und Gesundheitswesen“ und „Robotik und interagierende Systeme“ auch „Automatische Entscheidungsfindung“ und mathematisch-algorithmische Grundlagen. „Denn die Wurzel der Zuverlässigkeitsprobleme kann nicht aus Anwendungsgebieten, sondern nur aus der Theorie heraus gelöst werden“, so Kutyniok. Die mathematische Basis bildeten Gebiete wie Lineare Algebra, Stochastik, Statistik und Optimierung. Wolle man tiefer einsteigen, kämen Funktionalanalysis, Logik und Approximationstheorie hinzu – „und auf die eine oder andere Weise fast alle Gebiete der Mathematik“.
„Immer überlaufen“
Schon in der ersten Bewerbungsrunde erhielt die Konrad Zuse School, die neben der Theorie auch Industrie-Praktika und Auslandsaufenthalte etwa in Stanford und Princeton bietet, „sehr viele Bewerbungen aus der ganzen Welt“. Und auch ihre Veranstaltung „Mathematik der KI“ an der LMU selbst sei „immer überlaufen“. KI-Professuren gebe es aber nicht nur in methodischen Disziplinen wie Mathematik, Statistik und Informatik, sondern auch in Natural Language Processing, Betriebswirtschaftslehre, Archäologie und etwa den Kunstwissenschaften. „Ich denke, wir sind deutschlandweit die einzige Uni, die den derzeitigen gesellschaftlichen Wandel in seiner thematischen Breite auf Top-Level abbildet.“
So können Studierende der Kunstwissenschaft das Master-Seminar „Creating Art(efacts): Computer-based Image Generation and Editing“ belegen, dessen Kursleiter Professor Björn Ommer selbst ein KI-gestütztes Bildgenerierungs-programm entwickelt hat. Studierende der Astrophysik befassen sich in einer Wahlpflichtveranstaltung mit der Bayesschen Inferenz, einem Ansatz zum maschinellen Lernen, im Zusammengang mit KI. Und am Lehrstuhl für Assyriologie und Hethitologie gibt es das Seminar „Archäologie im Zeitalter der KI – No-Coding-Tools und interaktive Software“, in dem Studierende etwa einschätzen lernen, wann deren Einsatz sinnvoll und verantwortbar ist.
Bachelor-Studierende aus bislang 27 Disziplinen können ab diesem Semester „KI als Nebenfach“ an der LMU belegen. Ihr Hauptfach – von Anglistik und Geografie über Musik- und Politikwissenschaft bis hin zu Skandinavistik und Theaterwissenschaft – können sie so mit einer Ausbildung ergänzen, die sie für Beruf und Praxis, aber auch den prosperierenden KI-Forschungszweig fit macht. „KI-Technologien sind mit ihrem enormen Anwendungspotenzial inzwischen auch in fast allen Wissenschaftszweigen angekommen“, erklärt Professor Eyke Hüllermeier. „Unser neuer Studiengang vermittelt die nötigen Grundkenntnisse, um KI für das eigene Fach effektiv einsetzen zu können.“
Prinzip Online-Shopping
Aufbauend auf mathematischen und statistischen Grundlagen sowie Programmierkenntnissen erlernen die Studierenden dabei Methoden, um Fragestellungen ihres Hauptfachs zu analysieren. Wo nicht formell als Nebenfach möglich, kann eine zusätzliche KI-Spezialisierung gewählt werden. Hier gibt es Vereinbarungen etwa mit der Volkswirtschaftslehre, der Betriebswirtschaftslehre, der Psychologie und der Physik.
Zum Curriculum gehören jeweils Anwendungsblöcke, die inhaltlich vom Hauptfach gestaltet werden: in der Astronomie etwa zur Datenauswertung von Signalen aus dem Weltall, in der Archäologie zur Digitalisierung von Fundstellen, in der Medizin zur Bildanalyse von Röntgenbildern. In die Mathematik steige man dabei „nicht tiefer ein als unbedingt nötig“, erklärt Hüllermeier. Das Nebenfach wird deshalb in zwei Varianten angeboten – einmal für naturwissenschaftliche Studiengänge, die bereits über mathematische Grundkenntnisse verfügen, und einmal für Geistes- und Sozialwissenschaften.
Auch der LMU-Physikdidaktiker Professor Jochen Kuhn glaubt nicht, dass Studierende etwa der Anglistik oder Pädagogik tief in die Mathematik einsteigen müssen, um KI in ihrem Fach anwenden zu können. „Es geht eher um ein Verständnis für das Grundprinzip: Wenn ich beispielsweise bei Amazon etwas bestelle, sammelt das Unternehmen Daten, mit denen es ein KI-Modell füttert und somit trainiert. Dieses kann dann Vorhersagen machen, auf deren Basis mir Werbungen eingeblendet werden oder Ähnliches. Das alles ist KI.“
Milliarden von Ableitungen
Als Leiter der KI-Nachwuchsgruppe des Lehrstuhls für Didaktik der Physik erforscht Dr. Stefan Küchemann zusammen mit Jochen Kuhn das Lernen mit und über Künstliche Intelligenz an Schulen und Hochschulen. „In der Schule wird die Mathematik meist als sehr präzise Wissenschaft vermittelt“, erklärt er. „Bei KI aber geht es um Unsicherheiten, Ungenauigkeiten, Wahrscheinlichkeiten. Im Wesentlichen sind das komplexe Optimierungsfunktionen beispielsweise über Ableitungen, wie sie Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe kennenlernen.“ Allerdings stellten KI-Algorithmen eine Vielzahl, manchmal Milliarden von Parametern dar, welche auf Basis der Optimierungsfunktionen eingestellt würden. „Das ist sehr, sehr abstrakt.“ Der neue PISA-Kompetenzrahmen sieht in Mathematik nun auch die Bereiche „Uncertainty and Data“ vor. „Wenn zukünftige Studierende also zu uns an die Uni kommen, müssten sie für KI und andere Aspekte der Data Science grundlegend befähigt sein.“
Neben KI in der Lehre befassen sich Kuhn und Küchemann auch damit, was KI für die Lehre bedeutet. „Bei kaum einem Text ist heute mehr klar zu identifizieren: Was kommt vom Menschen, was von der Maschine? Das ist ein Grundsatzproblem, auch für Uni-Prüfungen“, so Kuhn. Wenn die KI-Nutzung in Prüfungen ausgeschlossen werden soll, „müssten Prüfungen vor Ort handschriftlich, ohne digitale Endgeräte, erfolgen“. Im Distanzunterricht werde das komplexer, denn auch Multiple-Choice-Aufgaben könne ein großes Sprachmodell lösen. Also müsste der oder die Dozierende vorab testen, ob große Sprachmodelle dazu fähig seien. „Andere Strategien wären, die Aufgaben komplexer zu gestalten, um die Hilfe der KI zu kompensieren, oder Fragen arithmetischer oder kontextualisierter Natur zu involvieren, die das Sprachmodell nicht einordnen kann.“
Neben der Beachtung der Grenzen und Risiken sei es aber mindestens ebenso wichtig, das große Potenzial von KI für Lehre und Lernen auszuloten, zu nutzen und dessen Wirkung zu untersuchen. „Als Lehrer kann ich beispielsweise ein großes Sprachmodell nutzen, um diversifizierte Übungsaufgaben, Multiple-Choice-Antworten und sogar Unterrichtspläne zu erstellen und individualisiertes Lernen zu ermöglichen“, erklärt Kuhn. Das gehe mithilfe von KI deutlich schneller, mit größerem Korpus und größerer Vielfalt, „wobei der menschliche Prüfprozess noch genauso wichtig ist wie das Prompting selbst“.
Persönlichere Lehre durch KI
Auch LMU-Pädagoge Dr. Florian Schultz-Pernice glaubt, dass KI-Anwendungen sowohl das Lernen als auch das Lehren an Schulen und Hochschulen „fundamental verändern“ werden. „Anwendungen wie ChatGPT stellen ein enorm leistungsfähiges Tool zur Verfügung“, erklärt der medienpädagogische Leiter des DigiLLab für Lehramtsstudierende der LMU. „Mit ihrer Hilfe lässt sich ganz einfach eine Ressource erstellen, also etwa ein Quiz oder ein Text mit Fragen zum Inhalt, mit der man das eigene Verständnis überprüfen kann.“ Auch könne es Feedback zu Orthografie, Grammatik und Stil der eigenen Texte geben.
„KI kann sogar Vorschläge zu Auswahl und Strukturierung von Lehrinhalten generieren und Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade entwickeln, die individuell auf den Lernenden zugeschnitten sind.“ Auch die Korrektur von Artikeln und Seminararbeiten ließe sich damit unterstützen. „Damit werden Zeitressourcen frei“, so Schultz-Pernice., „um Studierende persönlich zu unterstützen oder für andere Tätigkeiten, die die KI – noch – nicht übernehmen kann.“
ajb
LMU-Studierende über das Lernen von KI
„Facettenreich, interdisziplinär und eine Freude“
Sarah Ball, Statistik-Doktorandin
„Nach einem Bachelor in Economics und Politikwissenschaften in Heidelberg und einem Master in Social Data Science in Oxford promoviere ich nun am Institut für Statistik der LMU. Dabei befasse ich mich mit ‚AI Safety‘, genauer damit, welches Wissen Sprachmodelle über uns Menschen und die Welt erlernen und speichern. Wir leben in einer Zeit, in der es – gefühlt – jeden Tag neue AI-Entwicklungen gibt. Das ist superspannend, aber manchmal ist es auch schwer, mit der Schnelligkeit der Entwicklungen mitzuhalten. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Systeme, die wir benutzen, verlässlich sind. Forschung oder Wissen zu ‚reliable AI‘ wird somit uns allen in der Zukunft helfen. An der Konrad Zuse School fasziniert mich, dass das Thema KI aus vielen Blickwinkeln betrachtet wird. KI ist so facettenreich, dass interdisziplinäre Forschung enorm wichtig wird – und das macht Spaß.“
Yusuf Sale,Informatik-Doktorand
„Was bedeutet AI? Wie kann ich sie in meinem Beruf einsetzen? Und welche Risiken liegen dahinter? Bereits während meines Bachelor- und Masterstudiums habe ich mich intensiv mit Unsicherheiten in der Entscheidungstheorie und Statistik auseinandergesetzt. Uncertainty Representation and Quantification in Machine Learning ist nun das Thema meiner Dissertation. Unsicherheiten im maschinellen Lernen adäquat zu repräsentieren und zu quantifizieren, erfordert ein tiefes Verständnis statistischer und probabilistischer Methoden sowie breites Fachwissen – das kann anfangs einschüchtern. An der Konrad Zuse School fasziniert mich, dass man sich dort mit Menschen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen über mathematische, soziologische und etwa philosophische Aspekte austauschen kann, und das aus theoretischer wie praktischer Perspektive. Mit meiner Expertise will ich in Zukunft helfen, maschinelles Lernen und KI vertrauenswürdiger zu machen.“
Tim Wiegand, Medizindoktorand
„Ich promoviere an der Schnittstelle von Neuroradiologie, Neurologie und Psychiatrie zu den Auswirkungen von Kontaktsport auf das Gehirn. Mit KI bin ich bereits vor dem Studium in Berührung gekommen, als ich in einem Labor in den USA gelernt habe, wie dort KI für die Bildverarbeitung genutzt wird. Weil ich dieses Wissen unbedingt weitergeben und der nächsten Generation an Medizinerinnen und Medizinern spannende Einblicke ermöglichen möchte, habe ich vor einigen Jahren die Initiative LMU AIM mitgegründet – kurz für ‚Artificial Intelligence in Medicine’. Mit unseren Programmierkursen, Führungen in Start-Ups, Vortragsreihen und vielem mehr machen wir Medizinstudierende und junge Ärztinnen und Ärzte bereit für das 21. Jahrhundert. Denn um Patientinnen und Patienten mit KI-Anwendungen zu helfen, muss man zuerst verstehen, worum es dabei eigentlich geht.“
0 Kommentare