lagfa Bayern e.V

Bildung durch Verantwortung

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Unter dem Dach der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen, kurz lagfa Bayern e.V., sind rund 120 Agenturen sowie Koordinierungszentren für Bürgerschaftliches Engagement vereint. Ziel des Bündnisses: das Ehrenamt von Freiwilligen in Bayern zu fördern. Was der Verband auch für Studierende bietet, erklärt Landesgeschäftsführerin Beatrix Hertle.

MUM: Welche Möglichkeiten des Engagements gibt es? Welches sind in Bayern die beliebtesten?
Beatrix Hertle: Auf Platz 1 der Engagementmöglichkeiten liegt seit Jahren der Bereich Sport und Bewegung, dicht gefolgt von Kultur und Musik. Auf Platz 3 liegt der soziale Bereich.
Grundsätzlich kann man aber eine Tendenz sehen: Sport wird etwas weniger, Engagement im Bildungsbereich (etwa Lese- und Lernpaten) nimmt zu, ebenso steigt der Umweltschutzbereich. Eine spannende Entwicklung sieht man im Bevölkerungsschutz: Nach Jahrzehnten eines starken Rückgangs wollen sich hier wieder mehr Menschen ehren­amtlich engagieren.
Interessant ist vielleicht auch die Engagementquote insgesamt. Nach dem aktuellen Freiwilligensurvey engagieren sich 41 Prozent aller Erwachsenen, wobei die Gruppe der 14- bis 29-Jährigen sich stärker engagiert als zum Beispiel die über 50- oder über 65-Jährigen.

MUM: Wie viele Studierende engagieren sich bayernweit freiwillig?
Beatrix Hertle: Konkrete aktuelle Zahlen zum Engagement von Studierenden in Bayern gibt es leider nicht – aber Studierende sind sehr engagiert, so viel steht fest. Sie haben gute Ideen und Spaß, ihre Kenntnisse und ihr Wissen in der Praxis anzuwenden. Davon zeugen tolle studentische Initiativen wie etwa „Arbeiterkind.de“, 
die „Refugee Law Clinic“ oder „Rock Your Life“. Das Engagement reicht von der Unterstützung für Kinder und Jugendliche bis hin zur überregionalen Vernetzung von Interessensgruppen wie etwa von Initiativen im Umwelt- oder kulturellen Bereich. Insgesamt ist vor allem der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich für junge Menschen besonders wichtig.
Absolut herausragend war das Engagement in der Fluchtmigration 2015, wo Studierende zum Beispiel Sprachunterricht, medizinische Hilfe oder Hilfe bei Übersetzungen und Behördengängen geleistet haben.

MUM: Gibt es Felder, in denen Studierende beziehungsweise junge Menschen ganz besonders prädestiniert sind, zu helfen?
Beatrix Hertle: Wofür man sich engagiert, hängt immer von den eigenen Interessen, Werten und Lebensumständen ab. Aber junge Menschen unter 30 sind derzeit besonders aktiv im Umweltschutz, sie engagieren sich auch stark für Themen der sozialen Gerechtigkeit und Menschenrechte, beteiligen sich an Protesten, organisieren Petitionen und arbeiten in gemeinnützigen Organisationen, die sich für verschiedene benachteiligte Gruppen einsetzen. Aber auch für den Bildungsbereich oder digitale Themen können sich junge Menschen zunehmend begeistern.
Es macht natürlich auch einen Unterschied, ob man eher ländlich oder im großstädtischen Bereich aktiv ist. Auf dem Land sind junge Menschen noch stärker in die eher traditionellen Formen des Engagements eingebunden, wie etwa der Freiwilligen Feuerwehr. Im städtischen Bereich ist es einfacher, sich in innovativen Initiativen einzubringen.

MUM: Können Sie einschätzen, wie sehr sich die gestiegenen Lebenshaltungskosten oder der hohe Workload im Studium gerade auf das Engagement von Studierenden auswirken?
Beatrix Hertle: Hier gibt es keine explizite repräsentative Umfrage, aber wir sehen schon, dass junge Menschen sich oft nicht in größeren Zeitumfängen engagieren können, wenn nebenbei ein Studium finanziert werden muss. Daher ist es besonders wichtig, dass es Engagementformate gibt, in denen man sich auch mit weniger Stunden, projektbezogen und für einen bestimmten Zeitraum einbringen kann. Das senkt oft die Einstiegshürde für ein Engagement.

MUM: Wie viele Freiwilligenagenturen gibt es in Bayern und wie groß ist die Bereitschaft, sich zu engagieren?
Beatrix Hertle: In Bayern gibt es circa 120 Freiwilligenagenturen, sie heißen manchmal auch Freiwilligen-Zentren oder Koordinierungszentren Bürgerschaftlichen Engagements. Es gibt nahezu in jedem Landkreis eine solche Anlaufstelle, manchmal sogar mehrere. In München allein gibt es zum Beispiel acht Freiwilligenagenturen.
Die Bereitschaft, sich zu engagieren, ist da! Vor allem in akuten Krisenzeiten möchten sich Menschen für das Gemeinwohl einsetzen. Zentral ist, dass Menschen den Zugang zu einem Engagement finden. So gibt es seit einem Jahr zum Beispiel die Online-Plattform www.freilich-bayern.de. Dort kann man sein Ehrenamt ganz einfach online finden.

MUM: Was nehmen engagierte Menschen für sich selbst mit?
Beatrix Hertle: „Ich bekomme in meinem Engagement mehr zurück, als ich gebe“ – diesen Satz hört man oft. Und man bekommt oft viel Dankbarkeit von denjenigen, denen man hilft. In vielen Engagementfeldern erhält man oft auch kostenfreie Qualifizierungsangebote, etwa, wenn man Geflüchteten Deutsch beibringt.

Je nachdem, kann man dieses Wissen auch später oft im Beruf auch gut einsetzen. Es kommt auch immer wieder mal vor, dass man aus einem Engagement heraus eine Arbeit findet. Und grundsätzlich sind Menschen, die sich engagieren, sehr verantwortungsbewusst, erlernen in ihrem Engagement wertvolle Soft Skills und übernehmen dort oft auch Führungsaufgaben.
Formal gibt es in Bayern die Möglichkeit des Ehrenamtsnachweises. Dieser gibt Auskunft über das Ehrenamt, in dem man tätig ist. Er dokumentiert Fortbildungen sowie besondere Fähigkeiten und Begabungen, die gezeigt wurden. Voraussetzung ist, dass man mindestens 80 Stunden im Jahr ehrenamtlich aktiv war.

MUM: Wo könnte man mit Blick auf das Engagement von Studierenden noch nachbessern?
Beatrix Hertle: Es wäre ein großer Gewinn für alle, wenn Service Learning als besondere Form des Engagements noch mehr Einzug in bayerischen Universitäten halten würde. Das ist eine Lernform, bei der Studierende mit ihrem im Studium erworbenen Wissen und mit wissenschaftlichen Methoden gemeinnützige Organisationen unterstützen.
Die engere Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen ist noch ein relativ neues Themenfeld, liegt aber im Trend: Das bundesweite Hochschulnetzwerk „Bildung durch Verantwortung“, das im Jahr 2009 mit fünf Hochschulen gegründet wurde, zählt mittlerweile 40 Mitglieder, sieben davon sind aus Bayern. Deren Ziel ist es, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, indem sie das zivilgesellschaftliche Engagement von Studierenden, Lehrenden und anderen Hochschulangehörigen systematisch fördern, dies mit ihrem Bildungsauftrag verbinden und damit aktiv in die Gesellschaft hineinwirken.


•  Interview: cg

Freiwilligen-Agentur TATENDRANG

Ehrenamt stärkt die Gesellschaft

Die Freiwilligen-Agentur TATENDRANG wurde 1980 gegründet und ist die älteste Einrichtung ihrer Art in Deutschland und Vorbild für viele andere. TATENDRANG ist in der lagfa Bayern e.V. organisiert. Renate Volk, eine der beiden Leiterinnen von TATENDRANG, über die Arbeit mit Menschen, die helfen wollen.

MUM: Wie viele Möglichkeiten des Engagements vermitteln Sie über TATENDRANG?
Renate Volk: Wir haben rund 400 Kooperationspartner in München – von der großen Organisation bis zur kleinen Initiative. An diese vermitteln wir ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie unterstützen zum Beispiel in Senioreneinrichtungen, indem sie mit den Bewohnern Kaffee trinken oder die Funktionsweise eines Mobiltelefons erklären. Oder sie helfen bei der Durchführung von Freizeitaktivitäten für Kinder. Die Bandbreite an Themen, Zielgruppen und Aktivitäten ist riesig. Dabei achten wir aber immer darauf, dass durch Ehrenamtliche keine regulären Mitarbeitenden ersetzt werden.

MUM: Wie viele Menschen engagieren sich und was bieten Sie diesen als Freiwilligenagentur?
Renate Volk: Wir beraten rund 800 Menschen pro Jahr persönlich. Dabei versuchen wir gemeinsam mit ihnen herauszufinden, für was sie sich begeistern können, welche fachlichen Voraussetzungen sie mitbringen, wo sie hinwollen. Wir haben derzeit etwa 3.500 Freiwillige in unserem Verteiler, die wir regelmäßig per Newsletter informieren oder zum direkten Austausch einladen. Wir bieten auch Schulungen und Weiterbildungen an und organisieren Infoveranstaltungen.

MUM: Was ist die Motivation von Menschen, sich zu engagieren?
Renate Volk: Die Hauptmotivation ist, dass man etwas Gutes tun, helfen und einen Beitrag leisten möchte, damit sich die Gesellschaft zum Besseren entwickelt. Viele, die privilegiert sind, möchten der Gesellschaft auch etwas zurückgeben. Menschen, die neu in München sind, erhoffen sich zudem, andere Leute kennenzulernen. Nicht zuletzt geht es vielen auch darum, eigenes Wissen in einem anderen Kontext einzubringen oder neues Wissen zu erwerben. Deswegen ist es gerade für Studierende sehr interessant, sich zu engagieren.

MUM: Die demokratische Gesellschaft ist derzeit starken Turbulenzen ausgesetzt. Merken Sie das auch in Ihrer Arbeit und gibt es Ansätze gegenzusteuern?
Renate Volk: Ein Ehrenamt trägt zu einer friedlichen und solidarischen Gesellschaft bei – vor allem, weil man dadurch mit Menschen aus anderen Kontexten und Lebenslagen zusammenkommt, die man sonst nie kennengelernt hätte. Wenn man etwa mit Geflüchteten arbeitet, gewinnt man einen ganz anderen Einblick in deren Situationen. Das wirkt verbindend und die Betroffenen fühlen sich nicht allein gelassen. Die Bedeutung vom Ehrenamt ist gestiegen, da die Not größer geworden ist: In der Bildung etwa, wo durch Corona viele Kinder und Jugendliche abgehängt wurden. Auch die Einsamkeit ist größer geworden.
Gerade jüngere Menschen sind in großer Sorge über die gesellschaftlichen Entwicklungen, deswegen ist bei dieser Gruppe auch die Bereitschaft, sich zu engagieren, sehr gestiegen.

MUM: Wie viele junge Menschen engagieren sich in München und wo liegen die Schwerpunkte?
Renate Volk: Gerade die jüngeren Menschen setzen sich unter anderem für Bildungsgerechtigkeit, die Umwelt, für Demokratie und Chancengleichheit ein.
Wenn es um die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen geht, sind sie besonders gut geeignet, da der Altersunterschied noch nicht ganz so groß ist. Sie sind da ein wenig wie Geschwister oder Mentoren.

MUM: Was nehmen die Ehrenamtlichen für sich selbst mit?
Renate Volk: Sie sammeln praktisches Wissen, was für den späteren Beruf von Vorteil sein kann. Wichtig ist auch, dass man sich angstfrei ausprobieren kann etwa im Projektmanagement, wenn es um die Organisation von Kampagnen geht. Der Blick über den eigenen Tellerrand ist dabei genauso entscheidend und die Aneignung von Social Skills.

Interview: cg

TATENDRANG informiert, vermittelt und qualifiziert Münchnerinnen und Münchner, die sich ehrenamtlich engagieren möchten. Die Agentur bietet dafür kostenfrei individuelle und persönliche Beratungsgespräche an. TATENDRANG hat auch eigene Projekte und Formate entwickelt: Dazu zählen „What to do?“, Engagementvermittlung via WhatsApp, die „Lernpaten-Akademie“ mit kostenfreien Seminaren für Freiwillige in der Lernförderung, digitale Engagement-Angebote sowie die Freizeitbegleitung von Menschen mit Behinderungen. Finanziert wird TATENDRANG vom Sozialreferat der Landeshauptstadt München. Träger ist der Verein für Fraueninteressen e.V.

www.tatendrang.de

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