Es ist Freitagabend, der 16. August 2024. In der Testhalle des Zentrums für Telematik e.V. (ZfT) in Würzburg schwankt die Stimmung der Anwesenden zwischen Euphorie und Anspannung. Der Grund dafür ist ein schuhschachtelgroßer und rund dreieinhalb Kilogramm schwerer Minisatellit, der endlich seine Reise in den Weltraum antreten wird. In jahrelanger, aufwendiger Detailarbeit wurde er zusammengebaut und mit jeder Menge Hightech ausgestattet. Die braucht es auch. Denn nichts weniger als neuentwickelte Komponenten für abhörsichere Kommunikation mittels Quantenverschlüsselung aus dem All sollen mit der Mission getestet werden. Dazu muss aber erst der Start der SpaceX-Rakete von der US-amerikanischen Vandenberg Air Force Base in Kalifornien klappen. Mehrmals wurde er verschoben, doch an diesem Tag sind die Bedingungen nahezu perfekt.
Die Idee, Informationen zu verschlüsseln, indem man die Gesetze der Quantenmechanik nutzt, stammt bereits aus den 1980er-Jahren. Das Fundament bilden quantenmechanische Zustände, zum Beispiel die Polarisation von Photonen – vereinfacht gesagt ihre Schwingungsrichtung – oder der Anregungszustand von Atomen. „Ein Abhörer, der sich Informationen über einen Quantenschlüssel verschaffen möchte, würde entdeckt werden, weil er dabei den Zustand des Quantensystems verändert“, erklärt Harald Weinfurter, Professor für Experimentelle Quantenphysik an der LMU, Mitglied im Exzellenzcluster MCQST und ein Pionier der Quantenkryptographie. Die Sicherheit gegenüber Lauschangriffen fußt also auf grundlegenden Gesetzen der Physik. Bei herkömmlichen Kryptographiemethoden ist das hingegen nicht so: Klassische Schlüssel, wie sie derzeit bei den meisten Vorgängen im Internet erzeugt werden, lassen sich im Prinzip mit Quantencomputern knacken. Heißt: Wird diese Technik tatsächlich einsatzfähig, wäre ein Großteil der heutigen Verschlüsselungsmethoden nicht mehr sicher. Es besteht also Handlungsbedarf.
Schlüsselaustausch über 700 Meter
Mehr als ein Jahrzehnt untersucht Weinfurter schon zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der LMU die Möglichkeiten und Grenzen der Quantenkryptographie. Einen Erfolg feierte das Team etwa im Jahr 2022. Damals konnte es zeigen, dass sich ein Schlüsselaustausch mittels zweier verschränkter Quantensysteme bestehend aus zwei Rubidiumatomen realisieren lässt, die sich in 400 Meter voneinander entfernten Laboren auf dem LMU-Campus befanden. Die beiden Systeme waren über ein 700 Meter langes Glasfaserkabel verbunden, das unter dem Geschwister-Scholl Platz vor dem Hauptgebäude der Universität verlief. Allerdings dämpft Glasfaser sehr stark: „Alle 50 Kilometer sinkt die Signalstärke um den Faktor zehn – nach 50 Kilometer haben wir also nur noch zehn Prozent des Signals, nach 100 Kilometern nur mehr ein Prozent und so weiter“, sagt Weinfurter. Daher sind die jetzt schon erhältlichen kommerziellen Systeme typischerweise für eine Entfernung von ungefähr 70 bis 100 Kilometer ausgelegt. Doch geht da nicht vielleicht mehr?
Photonen, also Lichtteilchen, könnten theoretisch in der Luft viel größere Entfernungen überbrücken. Allerdings ist dieser Ansatz auf der Erde nicht praktikabel, denn man braucht stets freie Sicht zwischen den beiden Austauschorten. Weinfurters Gruppe hat so im Rahmen einer europäischen Kollaboration bereits im Jahr 2007 spektakulär Quantenschlüssel über 144 Kilometer zwischen Teneriffa und La Palma ausgetauscht. Die Photonen wurden dazu über der Wolkengrenze bei trockener Luft versendet. Solche Bedingungen herrschen allerdings nicht oft.
Kritisch an der Mission ist nur der Start, da gibt es am meisten Vibrationen. Oben im All ist es dann eigentlich ziemlich ruhig.
Doch was wäre, wenn sich einer dieser Standorte im Weltall befindet? Von dort hätten die Photonen in der Regel freie Bahn zu einer Empfangsstation auf der Erde. Hier kommt das interdisziplinäre Konsortium QUBE ins Spiel, das Weinfurter initiierte und das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wird. Neben dem ZfT und der LMU sind unter anderem auch das Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit an Bord. Mit QUBE und dem bereits laufenden Nachfolgeprojekt QUBE-II möchten die Beteiligten herausfinden, ob sich Quantenschlüssel auch zwischen einem kleinen Satelliten und der Erde austauschen lassen – über mehr als 500 Kilometer Entfernung.
Erfolgreich in 500 Kilometer Höhe ausgesetzt
Zu diesem Zweck hat ein Team des ZfT in Würzburg QUBE entwickelt. Und das Münchner Team um Weinfurter hat ein komplexes Quantenmodul konstruiert und beigesteuert, High-Tech auf engstem Raum: „Das ist eine kleine Platine mit vier Lasern darauf, die Photonen mit vier bestimmten Quantenzuständen erzeugen können“, berichtet Weinfurter. Zudem befindet sich im Satelliten ein optisches Miniteleskop, das sich von der Erde aus ansteuern lässt und in dem ein fein justierbarer winziger Spiegel die Photonen präzise zur Bodenstation der DLR in Oberpfaffenhofen lenken kann. Dort wird man dann mit einem Spiegelteleskop versuchen, die Photonen aufzufangen, um anschließend ihre Polarisation zu bestimmen.
Der Minispiegel sei einer der empfindlichsten Bauteile des Satelliten, sagt Weinfurter. „Kritisch ist aber nur der Start, da gibt es am meisten Vibrationen. Oben ist es dann eigentlich ziemlich ruhig“, beschwichtigt er. Gleichwohl lauern andere Gefahren: Hochenergetische Strahlen aus den Tiefen des Alls könnten die Elektronik zerstören. „Das würde etwa bedeuten, dass ein Speicherchip oder eben irgendein Transistor kaputt geht“, sagt Weinfurter – mit dieser Bedrohung sei die Raumfahrt aber immer konfrontiert. Und natürlich wurden genügend Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um sich vor derartigen Risiken zu schützen. Funktionieren die Experimente wie geplant, könnten künftig mittels solcher Quantensatelliten globale Netze zur abhörsicheren Kommunikation entstehen, so die Vision.
Doch dazu muss QUBE zunächst erfolgreich in den Erdorbit verfrachtet werden. Also zurück zur Launch-Party in Würzburg: In der Halle verfolgen alle gebannt das Schicksal des kleinen Satelliten im Livestream. Um 20:56 Uhr mitteleuropäischer Zeit ist es soweit. Die Rakete hebt mit reichlich Getöse ab. Nach zwei Stunden wird QUBE in einer Höhe von rund 500 Kilometern ausgesetzt. Erleichterte Gesichter, als der Funkkontakt zum Quantensatelliten steht. Aber jeder weiß: Bis zum Ziel der Mission ist es noch ein weiter Weg.
In den kommenden Wochen testet das Würzburger Forscherteam nun die Kommunikation mit der Bodenstation. Dazu gehört zum Beispiel das Ausführen bestimmter Befehle: „Daten speichern, Updates aufspielen, Batterien prüfen“, zählt Weinfurter auf. „Man kann es sich vorstellen, wie das Herauffahren eines Rechners – mit dem Unterschied, dass man den Bordcomputer nur einige Minuten am Tag ansprechen kann“, erklärt der Physiker. Das liegt daran, dass der Satellit um die Erde kreist, und jeden Tag nur für kurze Zeit Funkkontakt zum Kommunikationszentrum hergestellt werden kann. „Für unsere Experimente haben wir maximal fünf Minuten Zeit.“ Noch ist es aber nicht soweit. „Unsere Komponenten gehen erst in Betrieb, wenn alles andere funktioniert“, bremst der Experte die Euphorie.
Einige Tage nach dem Start treten erste Verzögerungen auf: Nur 30 Prozent der Datenpakete, die der Satellit per Mikrowellen sendet, werden empfangen. Die gute Nachricht: „Die Antennen des Satelliten müssen sich ausgefaltet haben, sonst bekäme man gar kein Signal“, so Weinfurter. Also suchen die Würzburger Kollegen das Problem auf der Erde, testen die Ausrichtung ihrer Empfangsantennen und die Verstärker der Signale, justieren Einstellungen. Mitte Oktober steht die Kommunikation zum Satelliten. Weitere Tests folgen, unter anderem muss sich QUBE exakt im Raum ausrichten lassen, was eine Grundvoraussetzung für die späteren Quantenexperimente ist. Dazu nutzt der Satellit eine Minikamera, die die Sterne fotografiert und die Aufnahmen dann mit einer Datenbank abgleicht, um seine Lage zu bestimmen.
Quantenexperimente im All schon 2025
In den Wintermonaten möchten Weinfurter und sein Team dann ihr Modul testen: „Wir prüfen zum Beispiel, ob sich alle Komponenten ansteuern und einschalten lassen.“ Er ist optimistisch, dass schließlich im Frühjahr 2025 die ersten Quantenexperimente starten können. Dann ist voraussichtlich auch das Wetter wieder stabiler. Denn bei bedecktem Himmel dringt das Licht nicht zur Erde durch. Und selbst bei klarer Sicht werden sich die Photonen grob auf eine Kreisfläche von 150 Metern Durchmesser verteilen, so Weinfurter. Das liegt daran, dass sich mit der bislang verwendeten Optik noch nicht präziser zielen lässt. „Wir werden mit rund 50 Photonen pro Puls anfangen, vielleicht funktioniert es auch mit nur 10.“ Nur dann wird hin und wieder eines davon im Teleskop landen. „Der erste Schritt ist dann, die Polarisation der aufgefangenen Photonen zu messen“, sagt Weinfurter.
In einem zweiten Schritt will das Team versuchen den quantenmechanischen Schlüsselaustausch zu simulieren. Dazu muss sowohl das Verschicken als auch das Messen der Polarisationszustände unter einer bestimmten Basis erfolgen, wie Physiker sagen. Der Sender, in der Regel Alice genannt, wählt dazu für jedes verschickte Photon zufällig eine von zwei Basen aus. Bob, der Empfänger, misst ebenfalls in einer der beiden Basen. Erst im Nachhinein werden die jeweils von Alice gewählten Basen an Bob mitgeteilt. Nur die unter der gleichen Basis gemessenen Photonen enthalten Informationen über den Schlüssel. Der Austausch der Basen kann sogar öffentlich geschehen, weil diese nachträgliche Information dem Abhörer nicht mehr hilft. Er musste seine Messungen bei beiden Baseneinstellungen verwenden und verursachte so Fehler in der Übertragung. Das würde wiederum Alice und Bob signalisieren, dass ein Lauschangriff stattgefunden hat. Anhand der Fehlerrate könnten die beiden dann sogar den Anteil der abgehörten Information bestimmen.
Verläuft alles nach Plan, dann wird die Mission demonstrieren, dass die verwendeten Komponenten für einen Austausch eines Quantenschlüssels geeignet sind. In der von Weinfurters Mitarbeiter Lukas Knips geleiteten Nachfolgemission Qube II – der geplante Minisatellit wird doppelt so groß sein und befindet sich bereits im Bau – soll dann eine bessere Optik zum Einsatz kommen, mit der man noch genauer zielen kann. Damit könnte es dann auch gelingen, wirklich einzelne Photonen zu senden und zu detektieren. „Es war schon immer klar, dass erst in einer Nachfolgemission wirklich Schlüssel ausgetauscht werden können.“ Zu diesem Zweck entwickelt Knips für den neuen Satelliten unter anderem ein zusätzliches Prozessor-Board, das den Schlüsselaustausch steuert.
Nehmen wir also an, künftig ist es möglich, via Weltall Quantenschlüssel zu verschicken. Wie würde eine Kommunikation dann praktisch aussehen? „Ein Satellit könnte zum Beispiel mit Oberpfaffenhofen einen Schlüssel austauschen. Dann fliegt er weiter um die Erde und tauscht dann einen Schlüssel mit irgendeinem anderen Ort auf der Erde aus“, erklärt Weinfurter. „So könnte man quasi zwischen allen beliebigen Punkten auf der Erde sicher kommunizieren, solange man dem Satelliten traut.“ Bei diesem System geht es also nur darum den Schlüssel zu teilen, die verschlüsselten Daten werden weiterhin über bestehende Infrastrukturen ausgetauscht und dann auf den Endgeräten dechiffriert. „Ein weiterer Schritt wäre, dass wir ein Netzwerk aus verschränkten Quantensystemen auf der Erde aufbauen“, sagt Weinfurter – ähnlich den oben erwähnten Experimenten mit den Rubidiumatomen. „Solche Verbindungen wären wirklich sicher, weil an Zwischenknoten keine Information mehr vorhanden ist, die sich abgreifen lässt.“ Bis das aber wirklich Realität wird, müssen aber noch etliche Herausforderungen gemeistert werden. So ist das eben mit Pionierarbeit.
Janosch Deeg
Prof. Dr. Harald Weinfurter ist Professor für Experimentelle Quantenphysik an der LMU. Weinfurter, Jahrgang 1960, studierte Technische Physik an der Technischen Universität Wien, wo er auch promoviert wurde. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hahn-Meitner-Institut in Berlin und an der Universität Innsbruck, wo er sich auch habilitierte. 1999 kam er an die LMU. Weinfurter ist Mitglied im Exzellenzcluster MCQST (Munich Center for Quantum Science and Technology).
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