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Ausläufer der Anderwelt: die „Elfenkirche“ Tungustapi im Westen Islands. Foto: Olaf Krüger / imageBROKER / Picture Alliance

Ein Spiegel der Gesellschaft

Es gibt unzählige Geschichten zu Elfen. So auch die über Erla Stefánsdóttir, die bis ins Jahr 2015 angeblich Elfenbeauftragte Islands war. Als eine Art Medium hatte sie Kontakt zum verborgenen Volk der Elfen, einen direkten Draht in die Anderwelt sozusagen. Unter ihrer Regie entstanden Karten mit Elfengebieten, die bis heute in Reykjavik verkauft werden. Island ist aktuell ohnehin der europäische Hotspot der Figuren. Auf vielen Bauernhöfen gibt es Bereiche, die den Elfen gehören, einen Hügel, in dem sie wohnen, oder einen Teil einer Wiese, deren Gras ihnen gehört. Lässt man sie in Ruhe, leben Menschen und Elfen einträglich zusammen.

Viele der heutigen Geschichten über die Fantasiewesen sind positiv besetzt, es geht um bezaubernde Wesen, die unseren Respekt verdienen. Dabei zeigt ein Blick in die Kulturgeschichte Europas, dass Elfen und Feen in zahlreichen Geschichten, Gedichten und Mythen seit dem Mittelalter durchaus ambivalent dargestellt wurden. Da gibt es sowohl niedliche wie überaus garstige, gar rachsüchtige Elfen. Die einen bringen Blumen, die anderen den Tod. Matthias Egeler, Altskandinavist bis vor Kurzem an der LMU, kümmert sich um beide, er erzählt in seinem Buch Elfen und Feen von den Ursprüngen der Elfensagas, begleitet die Wesen auf ihrem Weg aus ländlichen in eher städtische Milieus. Der Experte für nordische Mythen begleitet ihre Ausbreitung vom späten Mittelalter bis in die Moderne, wo sie in Büchern oder Filmen wie denen der Harry Potter-Serie ihren Platz finden. Sie sind Teil der europäischen Kultur- und Religionsgeschichte. Egeler stieß bei seiner Quellensuche auch auf besondere Protagonisten wie Robert Kirk. Der schottische Pastor beschrieb den Elfenglauben der Menschen in den Highlands Ende des 17. Jahrhunderts mit anthropologischem Blick nicht als etwas Rückständiges, sondern als Beweis für die Existenz Gottes, stünden sie doch in Kontakt mit dem Übernatürlichen.

Egeler zeigt, dass die Elfen und Feen immer eine Funktion in den jeweiligen Gesellschaften hatten, ihre Eigenschaften sind an die Umgebungen und Zeiten angepasst. Es sind wandelbare Gestalten, die einem in Egelers Buch begegnen, die Herrinnen von Avalon aus der Artussage genauso wie die geheimnisvollen Elben Elrond und Galadriel aus dem Herrn der Ringe oder Titania und Oberon aus Shakespeares Mittsommernachtstraum. Jede Epoche bringt ihre Elfen und Feen hervor, stattet sie mit Wünschen und Ängsten aus. Sie sind ihr Spiegel. (huf)

Matthias Egeler: Elfen und Feen – Eine kleine Geschichte der Anderwelt. Verlag C.H. Beck, München 2024, 20 Euro.

Sinnlichkeit,Sachlichkeit

Kästner ist vor allem ein berühmter Kinderbuchautor. So beginnt Sven Hanuschek die erweiterte Neuausgabe seiner Kästner-Biografie. Um dann einen Absatz später auch unmittelbar den Kästner für Erwachsene einzuführen, als politischen Schriftsteller und Lyriker „mit frivolem Einschlag, als Satiriker und Humorist; neben der Satire wären allemal Melancholie und Sentimentalität zu nennen“. Hanuschek stellt seiner umfangreichen Biografik eine knappe, mit hohem Tempo geschriebene Kurzanalyse voran. Da wird dem Publikum zu Kästner 125. Geburtstag ein Phänomen in seiner ganzen Breite vorgestellt.

„Keiner blickt dir hinter das Gesicht“, so nennt der LMU-Professor sein Buch. Aber ein wenig versucht Hanuschek genau das bei Kästner, er folgt ihm nicht nur durch sein Leben, beginnend als Musterschüler, dann als Lehrer und Journalist, durch die Kriegsjahre bis hin zum späten Ruhm als „Volksschriftsteller“, berühmt eben durch die auch verfilmten Kinderbücher wie Das doppelte Lottchen oder Emil und die Detektive. Hanuschek fragt, warum dieser Kästner so gut funktioniert. „Die großen Gefühle und die Rührung, die sich aus seinen Texten immer wieder erheben, sind der Trockenheit und Lakonie ihrer Schilderung zuzuschreiben“, schreibt Hanuschek. „Da suhlt sich niemand, sondern untertreibt eher. Und er fasst seine Anliegen so allgemein, dass die Leser ihr eigenes Leben in seine Geschichten hineintragen können.“ Es scheint also diese besondere Mischung aus Sinnlichkeit und Sachlichkeit zu sein, aus eleganter und gleichzeitig lakonischer Sprache. Wer so einen feinen Stil beherrscht, ist für Hanuschek ein Meister der Leichtigkeit.

Hanuschek hat vor allem mit Neuausgaben von Kästners Romanen zu einer Neubewertung seines Gesamtwerks beigetragen, etwa mit Der Gang vor die Hunde, der Urfassung des Fabian. Wer dazu nun Hanuscheks Schilderungen über Kästners Zeit zwischen 1933 und 1945 liest, als dieser, obwohl von den Nazis schikaniert, nicht emigrierte, kommt dem Autor und Menschen Kästner durchaus näher. Da ist einer, der schon in Fabian im Jahr 1931 vor den Nazis warnte, forderte, man solle sich politisch engagieren, selbst aber dann nicht auf die Straße gegangen ist. Der sich zeitlebens an einer dominanten Mutter abarbeitete. Insgesamt war Kästner, so Hanuschek, offenbar ein sehr viel komplizierterer und widersprüchlicherer Charakter, als viele denken. Vielleicht hat Hanuschek ihm tatsächlich ein wenig hinter das Gesicht geblickt. 

Sven Hanuschek: Keiner blickt dir hinter das Gesicht – Das Leben Erich Kästners. Hanser Verlag, München 2024, 528 Seiten, 34 Euro.

Lust am Text

100 Jahre ist er nun tot, aber spätestens in diesem Jubiläumsjahr hat Kafka Kultstatus: Feuilleton-Artikel, Ausstellungen und Veranstaltungen allerorten, die ARD sendet ein sechsteiliges Biopic, Der Spiegel erklärt ihn gar zum TikTok-Star. All das erscheint wie ein breit angelegter Versuch, sich das Vielschichtige, Bohrende und auch Abgründige des Werkes über die Biografie des Autors zu erschließen.

Der Germanist Oliver Jahraus wirbt für die Lust am Text. In seinem schmalen Band Franz Kafka. 100 Seiten plädiert er dafür, „das Kafkaeske bei Kafka nicht im falschen Mythos des dunklen Werkes eines verzweifelten Autors zu suchen, sondern vielmehr in der Raffinesse und in der Souveränität, mit der Kafka seine Texte gestaltet, seine Erzählungen ausspinnt und seine Sujets inszeniert“. Jahraus zeigt, wie sich in Kafkas Texten der Erzähler und der Diagnostiker verbinden, wie er auf eigenwillige Weise Themen in Geschichten umsetzt, die von Macht in einem sozialen Gefüge und vom Kampf um familiäre und gesellschaftliche Anerkennung erzählen. Geschichten, die Deutungsangebote machen, aber keine Antworten geben. Jahraus fordert dazu auf, sich davon verlocken zu lassen. (math)   

Oliver Jahraus: Franz Kafka. 100 Seiten. Reclam Verlag, Ditzingen 2023, 100 Seiten, 12 Euro

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Auftakt: Meldungen

Der Dolmetscher

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Der Lichtfänger

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Warum bleibt die Vermögensungleichheit über Generationen bestehen?

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Nummer 1 / 2023

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Nummer 2 / 2022

Muster des Fortschritts – Was uns voranbringt

Nummer 1 / 2022

Raus ins Leben – Eine Generation nach dem Lockdown

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