Getreide, das unter Solaranlagen wächst. Äpfel, die unter Photovoltaik-Paneelen reifen. Wenn Karen Pittel darüber nachdenkt, wie sich die Energie der Sonne besser in Wohlstand umwandeln lässt als heute, fällt der LMU-Wirtschaftswissenschaftlerin als ein Beispiel die sogenannte Agri-Photovoltaik ein: „Damit kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“ Berechnungen etwa des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE zufolge ist in Deutschland nur ein Bruchteil des Potenzials ausgeschöpft, das in der Agri-PV steckt.
Neue Energien brauchen neue Netze
Wie man das, was ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist, in politisches Handeln übersetzen kann, ist eine Frage, mit der sich Karen Pittel in den vergangenen Jahren immer intensiver befasst hat. Sie lehrt und forscht nicht nur als Ökonomin an der LMU, sie leitet auch das ifo Zentrum für Energie, Klima und Ressourcen. Und sie ist Co-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Warum die Nutzung etwa von CO2-neutraler Solarenergie schnell ausgebaut werden muss, das illustriert das Gremium beispielsweise auf dem Einband eines seiner Gutachten recht plastisch: Er zeigt Radfahrer, die sich mit Schirmen vor der Sonne schützen. Sonnenlicht hat eben nicht nur in physikalischer Hinsicht eine Doppelnatur als Welle und Teilchen. Es hat auch in ökonomischer und ökologischer Hinsicht eine Doppelnatur, es kann segensreich sein und zerstörerisch. Segensreich, wenn das Licht als Energiequelle genutzt wird. Zerstörerisch, wenn es die Atmosphäre, in der der CO2-Gehalt steigt, immer stärker aufheizt.
Vielleicht ist die Agri-Photovoltaik ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wo das Dringliche, aber auch die Schwierigkeiten beim Ausbau der Regenerativen liegen. Es gibt Gründe, warum Agri-PV noch nicht so weit verbreitet ist, wie sie es sein könnte, ökonomische Gründe. Die Kombination von Photovoltaik und Landwirtschaft ist derzeit noch teuer. Doch Pittel hofft, dass die Kosten sinken. Und wenn PV-Anlagen über Flächen installiert werden, die gleichzeitig landwirtschaftlich genutzt werden, können sie die darunter liegenden Anbauflächen vor zu großer Hitze schützen und die Erträge steigern. Aber auch PV-Anlagen über Flächen, die sich selber überlassen bleiben, können der Natur und Menschheit nützen. „Das wäre dann auch im Sinne der Biodiversität“, sagt Pittel. Hier kann der Staat entsprechende Anreize, beispielsweise durch entsprechende Förderung setzen.
Ein anderes Problem, das nicht nur bei einer intensiveren Nutzung der Agri-PV gelöst werden muss: Wie lässt sich zusätzlicher Sonnenstrom in die bestehenden Energienetze einspeisen, die darauf noch nicht ausgerichtet sind? Bei der Energieversorgung lässt sich kein Problem getrennt von anderen betrachten. Wer zusätzliche Stromquellen erschließt, muss immer überlegen, wie er den Strom transportiert und speichert. Auch wenn der fossile Energieträger Erdgas zugunsten von CO2-neutral erzeugtem sogenanntem „grünen Wasserstoff“ an Bedeutung verlieren soll, muss das Leitungsnetz entsprechend umgebaut werden. Entsprechende Szenarien und Berechnungen anzustellen, auch das ist Wirtschaftswissenschaft, wie Pittel sie betreibt.
Die Umstellung wird „schmerzhaft und disruptiv“ sein
Dass es im Reigen der Hiobsbotschaften rund um den Klimaschutz durchaus positive Überraschungen gibt, zeigte im März 2024 eine Meldung des Umweltbundesamtes (UBA): Die Energiewirtschaft habe in ihrem Bereich die deutschen Klimaziele deutlich übererfüllt. Deutschland könne bis 2030 erreichen, was es sich bei der Verringerung der Treibhausgase vorgenommen hat. Diese Interpretation blieb nicht unwidersprochen, die Zwischenbilanz, so hieß es, falle vor allem wegen des milden Winters und der schwächelnden Wirtschaft so günstig aus. Und obendrein müsse die Energiewirtschaft Defizite im Verkehrssektor ausgleichen. Denn vor allem bei Pkw und im Lastverkehr sinkt der CO2-Ausstoß längst nicht so wie geplant.
„Die Staaten Europas müssen sich wesentlich besser koordinieren, wenn sie ihre Energieversorgung zukunftsfähig machen wollen.“
In einem „Policy Report“ des ifo Instituts, in dem Karen Pittel mit sechs anderen Wissenschaftlern aktuelle Empfehlungen dafür formuliert, wie die EU ihre Energieversorgung besser sichern und sich gleichzeitig gegen den Klimawandel stemmen kann, betonen die Autoren mehrfach: Die Umstellung der Energiesysteme werde „schmerzhaft und disruptiv“. Doch nichts zu tun, werde Folgen haben, die „weit disruptiver, teurer und schmerzhafter sind“, mahnt das Autorenteam.
Bei einigen Seltenen Erden hat China fast eine Monopolstellung
Und selbst wenn der Klimawandel kein Problem wäre, hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nach Ansicht von Pittel eines gezeigt: Die Energiepolitik der EU sei in wichtigen Bereichen „naiv und unvorbereitet“ gewesen, so das harsche Urteil des Berichts. Es ist den Mitgliedsstaaten nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine zwar gelungen, den drastischen Rückgang von Gas- und Ölimporten aus Russland zu bewältigen. Doch die verschiedenen Maßnahmen der einzelnen Länder seien oft unkoordiniert und zum Teil widersprüchlich gewesen.
Pittel hält eine bessere europäische Koordination bei der Energieversorgung und Energiepolitik für notwendig, ebenso wie bessere Möglichkeiten, Energie zu importieren und auszuführen. Die Erzeugung von Energie aus Sonne und Wind schwankt beträchtlich. Bislang organisieren die europäischen Staaten Backup-Kapazitäten, um diese Schwankungen auszugleichen, im Wesentlichen national. „Wenn bei uns wenig Sonne und kein Wind ist, könnte aber beispielsweise Frankreich gerade viel davon haben. Da könnte man mit einem besseren Austausch den Investitionsbedarf für Backups deutlich verringern“, schlägt Pittel vor.
„Die Staaten Europas müssen sich aber auch in anderer Hinsicht wesentlich besser koordinieren, wenn sie ihre Energieversorgung zukunftsfähig machen wollen“, sagt Pittel. Viele Rohstoffe, die für die Erzeugung erneuerbarer Energien und für die Speicherung etwa von Strom benötigt werden, stammen aus China. Die Großmacht hat bei einigen seltenen Erden fast eine Monopolstellung auf dem Weltmarkt. Hier gibt es nach Pittels Einschätzung verschiedene Wege, um Abhängigkeiten zu verringern: mehr Recycling entsprechender Materialien, die Entwicklung alternativer Materialien aber auch eine Diversifizierung der Lieferländer. Dabei kann auch Europa eine wichtige Rolle einnehmen. Denn auch hier werden immer wieder neue Vorkommen entdeckt, etwa in Schweden.
Doch sowohl das Recycling als auch die Neu-Erschließung von Lagerstätten sind teuer. Staatliche Unterstützung könne helfen, neue Recyclingmethoden zu entwickeln und in die Anwendung zu bringen. Sie könne auch den Abbau von Rohstoffen in Europa ankurbeln. Quoten könnten Teil einer Lösung sein, glaubt sie. Wenn die Vorgabe eingeführt wird, dass die Industrie einen gewissen Teil ihres Bedarfs an seltenen Erden aus europäischen Quellen decken muss, entstehe eine entsprechende Nachfrage: „Und dann werden da auch Kapazitäten aufgebaut.“ Langfristig müssten sich diese Investitionen aber auch ohne dauerhafte Subventionen rechnen.
Auf der Skala der drängendsten Probleme deutlich abgerutscht
„Eine intelligente Kombination von politischer Lenkung mit Marktmechanismen ist auch beim Klimaschutz der erfolgversprechendste Weg“, sagt Karen Pittel. Die Idee, den Ausstoß von Kohlendioxid durch politische Entscheidungen mit in Euro und Cent bezifferbaren Kosten zu verknüpfen, hält sie für richtungsweisend. Und sie ist überzeugt, dass höhere Kohlendioxid-Preise die gewünschte Wirkung entfalten können: „Dadurch werden fossile Energien aus dem System hinausgedrängt, weil sie im Verhältnis zu Erneuerbaren teurer werden.”
Allerdings ist sie nicht zufrieden damit, wie das Instrument der Kohlendioxid-Bepreisung kommuniziert wird: „Als der Kohlendioxid-Preis zum Anfang des Jahres erhöht wurde, stand nur im Mittelpunkt, um wie viel Cent der Liter Benzin teurer wird, und nicht, welche klimapolitische Überlegung dahintersteht. So wird suggeriert, es gehe nur darum, dass der Staat seine Einnahmen steigern kann.“ Ob sich wichtige Botschaften überhaupt breit transportieren ließen, da sei sie eigentlich „Berufsoptimistin“. Doch auf die Frage, wie gut die Kommunikation klima- und energiepolitischer Themen bislang insgesamt gelingt, antwortet die LMU-Wissenschaftlerin mit zwei Worten: „Schwerer Seufzer“.
Karen Pittel hat darum die Sorge, dass es nach den Europawahlen zunächst einen „Ruck weg vom Klimaschutz“ geben könnte. Und sie beobachtet es auch mit Sorge, wie sehr die öffentliche Meinung zu den Themen schwankt, die sie bewegen. Umfragen zufolge rutschte das Themenpaar „Umweltschutz/Klimawandel“ auf der Skala der drängendsten Probleme zuletzt deutlich ab. Doch auch wenn das Thema Klimawandel von der Bevölkerung für weniger wichtig gehalten wird, und auch wenn etwa Demonstrationen von Klimaschutz-Aktivisten es seltener sichtbar machen – eines sei unabweisbar, sagt die LMU-Forscherin: „Die Natur demonstriert selber. Durch Dürren, Überflutungen, Waldbrände.“
Nikolaus Nützel
Prof. Dr. Karen Pittel ist Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Energie, Klima und erschöpfbare natürliche Ressourcen, an der LMU. Sie ist außerdem seit 2010 Direktorin des Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen des ifo Instituts, München. Karen Pittel studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Göttingen und der University of North Carolina at Chapel Hill, USA. Sie wurde an der TU Chemnitz promoviert und habilitierte sich an der ETH Zürich. Sie ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) seit 2016, seit 2021 ist sie dessen Co-Vorsitzende. Sie ist zudem Mitgliede des bayerischen Klimarates.
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