Der Lichtfänger
Kristalle als Superlinsen – neue, clevere Materialen, um Energie nachhaltiger zu erzeugen

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Laborarbeit: Auf der Suche nach neuartigen Nanomaterialien, die sich für eine nachhaltige Energieerzeugung verwenden lassen, experimentiert Emiliano Cortés mit Superkristallen aus winzigen Goldkügelchen, die Sonnenlicht effizient einfangen können. Foto: Florian Generotzky

Der Superkristall, der gegen eines der größten Probleme der Menschheit helfen soll, sieht überraschend unspektakulär aus: ein dünnes, rechteckiges Plättchen aus Glas mit wenigen Zentimetern Kantenlänge. Um einen Hinweis auf sein enormes Potenzial zu finden, muss man das zerbrechliche Scheibchen schon unter ein wuchtiges Mikroskop legen. Dringt man mit dem Gerät in Dimensionen von mehreren hundert Nanometern vor – ein menschliches Haar ist durchschnittlich 700 000 Nanometern dick, der Radius eines Atoms beträgt etwa 0,1 Nanometer  – eröffnet sich dem Betrachter plötzlich ein perfektes Muster. Hunderttausende kreisrunde Kugeln liegen dichtgepackt und wohlgeordnet nebeneinander. Eine Struktur, die es in sich hat: Sie kann Sonnenlicht extrem gut auffangen – und soll irgendwann helfen, unsere Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Aber der Reihe nach.

Emiliano Cortés, Professor für Experimentalphysik an der LMU, hat das Potenzial des Materials als Sonnenlichtkollektor im Jahr 2021 als erster erkannt. Die Grundlagen dafür stammen von Forschungsteams aus Hamburg beziehungsweise Berlin. „Einer der beteiligten Wissenschaftler, Florian Schulz, hielt auf einer Konferenz einen Vortrag direkt vor meinem“, erinnert sich Cortés. Schulz arbeitet am Institut für Nanostruktur- und Festkörperphysik in Hamburg und berichtete, wie seine Arbeitsgruppe Goldnanopartikel mit Hilfe eines Polymers in einem einlagigen Film auf eine Oberfläche deponiert. Materialwissenschaftler nennen das Prinzip dahinter „self assembly“, was so viel bedeutet wie „Selbstanordnung“. Man muss die Partikel also nicht mit irgendwelchen Hilfsmitteln an eine vorgesehene Stelle bugsieren. Stattdessen ordnen sie sich von alleine an – in diesem Fall, wenn die Flüssigkeit verdampft, in denen die Nanopartikel mit den Polymeren gelöst sind. 

Ähnlich wie die Atome in einem Kristall sind die winzigen Goldkügelchen schließlich in Reih und Glied nebeneinander platziert. Weil sich diese kristalline Struktur über Bereiche von Millimetern bis hin zu Zentimetern erstreckt, bezeichnen die Erfinder sie auch als Superkristall. Als Cortés nun von diesem Material hörte, realisierte er, dass es ideal für eine Anwendung seiner Gruppe geeignet ist. Im Anschluss an die Konferenz sprach er mit Schulz, eine vielversprechende Kooperation war die Folge.

Effizient grünen Wasserstoff herstellen

Cortés und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der LMU suchen unter anderem nach Wegen, emissionsfreien Kraftstoff herzustellen. Dieser soll in Zukunft fossile Energieträger wie Öl, Gas und Kohle ersetzen, um den Ausstoß schädlicher Treibhausgase zu reduzieren. Ein aussichtsreicher Kandidat ist Wasserstoff. Wird er verbrannt, entsteht als Abfallprodukt lediglich Wasser. Das Problem: Das Gas muss zunächst chemisch hergestellt werden (am besten in großen Mengen), und dafür wird Energie benötigt.

Bislang stammt diese hauptsächlich aus fossilen Energieträgern, weshalb der Wasserstoff in der Regel alles andere als grün ist. Cortés möchte das ändern. „Wir wollen Wasserstoff mit Hilfe von Sonnenlicht produzieren.“ Was hierzu allerdings immer noch fehlt, ist eine effiziente Methode, bei der nicht der Großteil der Energie während des Herstellungsprozesses verloren geht. Das passiert etwa, wenn man das Sonnenlicht zunächst in elektrische Energie umwandelt und diese dann für die Elektrolyse nutzt, bei der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird.

Hier kommen die Superkristalle ins Spiel: Jeder der einzelnen Goldpartikel wirkt buchstäblich wie eine „Superlinse“, die das Sonnenlicht und die damit transportierte Energie einfängt. Das liegt daran, dass sichtbares Licht stark mit den Elektronen in den Nanopartikeln wechselwirkt und diese zum Schwingen anregt. Heißt: Die Elektronen beginnen, im Gleichschritt von der einen zur anderen Seite einer Goldkugel zu flitzen. Eine Art Mini-Magnet entsteht, Fachleute sprechen von einem Dipolmoment. Die kollektiven Schwingungen wiederum nennen sie Plasmonen. Plasmonische Oberflächen wie die Goldnanostrukturen nehmen viel mehr Lichtenergie auf, als eine Oberfläche, die flächendeckend mit Gold beschichtet ist. Am effizientesten sind Strukturen, bei denen die winzigen Partikel sehr eng beieinander liegen – im Fall der Superkristalle aus Gold betragen die Abstände ungefähr fünf Nanometer. Der Durchmesser eines einzelnen Partikels liegt bei rund 100 Nanometern.

Mehr Licht: Emiliano Cortés hat eine Vision. „Ich hoffe sehr, dass ich mit meiner Arbeit dazu beitragen kann, die globalen Herausforderungen der Klimakrise zu lösen“, sagt der LMU-Physiker. Foto: Florian Generotzky

Weltrekord bei grüner Wasserstoff-Produktion mit Sonnenlicht

Doch wie lässt sich die aufgenommene Energie nun nutzen, um Wasserstoff zu produzieren? Cortés kam auf die Idee, die Goldstrukturen mit Platin zu kombinieren. Dieses Metall treibt die Umwandlung von Ameisensäure zu Wasserstoff unter Lichteinstrahlung an, eine sogenannte Fotokatalyse. Da Platin allerdings Licht recht schlecht absorbiert, ist diese chemische Reaktion üblicherweise nicht sehr effizient. Platziert man jedoch Platinnanopartikel zwischen die Goldnanopartikel, passiert Folgendes: Die von den Plasmonen erzeugten elektrischen Felder übertragen Energie auf die Platinpartikel – und die Umsatzrate der Fotokatalyse nimmt erheblich zu. Das Team um Cortés packte also – ebenfalls mit der Methode der Selbstanordnung – zusätzlich Partikel aus Platin mit einem Durchmesser von fünf Nanometern zwischen die Goldpartikel. Fertig war ein Material, das Wasserstoff aus Ameisensäure erzeugt – und zwar erstaunlich effizient: Pro Stunde und pro Gramm Katalysator entstehen 139 Millimol Wasserstoff. Das ist Weltrekord.

„Die meisten Chemikalien werden produziert, indem man fossile Energieträger verbrennt. Wir bräuchten chemische Reaktoren, die mit Sonnenlicht arbeiten.“

Cortés – Bartträger und eher Typ T-Shirt als Typ Businesshemd – wuchs in einer Kleinstadt in Argentinien auf und studierte dann Chemie an der Universität in La Plata. „Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich mal Professor in Deutschland sein werde“, sagt er rückblickend. Während seiner Promotion verbrachte er einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt in Neuseeland. „Da habe ich das erste Mal realisiert, dass ich außerhalb von Argentinien arbeiten möchte.“ Als Postdoc ging er ans Imperial College nach London und wurde Gruppenleiter. Anfang 2019 kam er dann als vergleichsweise junger Professor an die LMU. „Ich liebe die internationale Atmosphäre hier am Campus. Das Umfeld ist optimal für meine Forschung, weil es viele gibt, die an ähnlichen Dingen arbeiten wie ich“, schwärmt er. 

Internationales Team sucht nach neuen Nanomaterialien

Seine Gruppe „Nanomaterials for Energy“ an der LMU besteht inzwischen aus mehr als zwanzig Leuten aus der ganzen Welt, die Gruppe ist auch an der Exzellenzcluster e-Conversion angebunden. Nicht alle Mitglieder beschäftigen sich mit der Herstellung von grünem Wasserstoff; generell dreht sich im Team alles um Nanomaterialien: solche, die sich für nachhaltige und effiziente Energieerzeugung oder -speicherung verwenden lassen oder eben solche, die wie der Superkristall Lichtenergie nutzen, um bestimmte chemische Reaktionen anzukurbeln. Manche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fahnden zum Beispiel nach Materialien, mit denen sich CO2 aus der Atmosphäre entfernen lässt. „Nur weniger Treibhausgase auszustoßen, wird nicht reichen, um dem Klimawandel aufzuhalten. Es ist schon zu viel davon in der Atmosphäre“, sagt Cortés. Plasmonische Strukturen könnten Reaktionen antreiben, die CO2 aus der Luft in andere Stoffe umwandeln, denkt er.

Zur Entwicklung solcher innovativen Materialien gehört auch, sie ausgiebig zu inspizieren. „Wir müssen zunächst verstehen, was auf mikroskopischer Ebene passiert, um Anwendungen entwerfen und die Eigenschaften der Strukturen optimieren zu können“, sagt Cortés. Zu diesem Zweck hat seine Gruppe eine etablierte Mikroskopiermethode weiterentwickelt, die auf der Oberflächenstreuung von Licht basiert. Noch bis vor kurzem wurde die Technik nur für biologische Proben eingesetzt. „Wir fragten uns: Können wir das Mikroskop nicht auch in den Materialwissenschaften nutzen, um ultraschnelle Energieeffekte auf Oberflächen zu beobachten?“ Sie konnten: „Es funktionierte viel besser, als wir dachten“, berichtet Cortés. 

Plasmonische Strukturen im Fokus: Mit einer von Emiliano Cortés entwickelten Apparatur lässt sich das Verhalten innovativer Materialien direkt beobachten. Foto: Floran Generotzky

In Echtzeit Moleküle beobachten

Die Forschenden können mit dem Apparat, getauft „Surflight“, etwa in Echtzeit verfolgen, wie der Wasserstoff auf den plasmonischen Strukturen entsteht – und so etliche wichtige Fragen beantworten. Zum Beispiel: An welchen Stellen reagieren die Moleküle? Wie ändert sich die Produktionsrate abhängig von der Lichtintensität? Das Projekt wird seit Anfang 2024 von der EU mit einem ERC-Grant gefördert. Zwei Patente wurden bereits angemeldet, und ein Startup-Unternehmen soll das Mikroskop demnächst kommerziell vermarkten. Cortés denkt, dass es in zahlreichen Branchen zum Einsatz kommen könnte, etwa in der Halbleiterindustrie, bei der Batterieentwicklung und -herstellung oder im Bereich der grünen Energie.

Eine der weitreichendsten Ideen des Argentiniers ist die Transformation von Teilen der Chemieindustrie: „Die meisten Chemikalien werden produziert, indem man fossile Energieträger verbrennt“, erklärt der Fachmann. Denn die Reaktionen brauchen viel Energie zum Beispiel für hohe Temperaturen und Drücke, unter denen sie ablaufen. „Wir bräuchten chemische Reaktoren, die mit Sonnenlicht arbeiten“, findet Cortés. Hier ließen sich beispielsweise fotokatalytische Nanostrukturen verwenden und so erhebliche Mengen an Energie aus nicht nachhaltigen Quellen einsparen.

Genau solche Visionen treiben Cortés an. „Ich hoffe sehr, dass ich mit meiner Arbeit dazu beitragen kann, die globalen Herausforderungen der Klimakrise zu lösen.“ Und womöglich werden dabei auch unscheinbare, dünne Plättchen aus Glas eine Rolle spielen. 

Janosch Deeg

Prof. Dr. Emiliano Cortés ist seit 2019 Professor für Experimentalphysik an der LMU. Der mit einem ERC Starting Grant und einem ERC Proof of Concept Grant ausgezeichnete Physiker leitet die Arbeitsgruppe Nanomaterialien für Energie am Nanoinstitut München der LMU. Er gehört zudem dem Exzellenzcluster e-conversion zur Erforschung der Grundlagen von Energieumwandlungsprozessen, dem Center for Nanoscience (CeNS) und der Bayerischen Initiative für Solartechnologien (SolTech) an.

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