Gründen für die Gesellschaft
Wie können Unternehmen arbeiten, die Erfolg nicht nur am Profit messen?

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Die Straße zum Erfolg kann auch anders aussehen: „Ich glaube, wir sollten wegkommen von der Metrik, die nur Profitoptimierung und möglichst niedrige Preise im Blick hat“, sagt Organisationswissenschaftler Ali Gümüşay. Foto: Manu Theobald

In der Start-up-Welt regiert ein Fabelwesen: Der Status als Einhorn – jung, erfolgreich und mehr als eine Milliarde US-Dollar wert – gilt hier als Nonplusultra. Doch gerade mischt noch ein anderes Tier die Firmenwelt auf: das Zebra. So werden Unternehmen bezeichnet, die nicht nur Gewinne erzielen, sondern auch die Gesellschaft positiv beeinflussen wollen. Der Wirtschafts- und Organisationswissenschaftler Ali Aslan Gümüşay erforscht am Innovation & Entrepreneurship Center (IEC) der LMU, was Zebras brauchen, um erfolgreich zu sein – und wie sich Erfolg überhaupt definiert, wenn es um mehr geht als Geld.

Herr Gümüşay, will nicht jedes Unternehmen gern ein Einhorn sein?

Natürlich haben Einhörner etwas Magisches, nicht nur in der Fabelwelt. Aber es geht vielen Gründerinnen und Gründern nicht nur darum, sehr reich zu werden. Aus vielen Studien wissen wir: Ja, wir wünschen uns finanziellen Erfolg, aber irgendwann scheint es genug zu sein für Glück und Glückseligkeit. Eigentlich hoffen wir auf ein erfülltes Leben. 

Und wie sieht das aus?

Manche Unternehmerinnen und Gründer treibt es an, anderen zu dienen, andere glauben an bestimmte Organisationen oder werden geleitet durch ihren eigenen Wertekompass. Für wieder andere stehen metaphysische Wesen zum Beispiel aufgrund eines Glaubens im Fokus des Handelns. Alle eint, dass es ihnen um ein soziales äußeres und persönlich inneres Wirken geht. Sie wollen zentrale gesellschaftliche Herausforderungen bewältigen. Insofern glaube ich nicht, dass jedes Unternehmen ein Einhorn sein will. 

Was unterscheidet die Zebras unter den Unternehmen denn genau von den Einhörnern?

Wie Einhörner wollen auch Zebras auf eigenen Beinen stehen, Profit erwirtschaften und damit ökonomisch nachhaltig sein. Darüber hinaus ist aber der gesellschaftliche Mehrwert die zentrale Zieldimension. Ein Zebra braucht nicht wie ein Einhorn einen Marktwert von mehr als einer Milliarde. Seine Gleichung ist erfüllt, wenn es einen Profit größer null erwirtschaftet und gleichzeitig einen erheblichen positiven Einfluss auf die Gesellschaft ausübt. Dieser Einfluss kann ökologischer oder sozialer Natur sein – oder auch beides.

Wie misst man den Wert von Gemeinnützigkeit?

Wenn von Unternehmen die Rede ist, die sich gesellschaftlich engagieren, fallen oft viele Begriffe: Gemeinwohlorientierung, soziales Unternehmertum, Impact Unternehmertum. Was steht wofür?

Dem Gemeinwohl dient ein Zebra schon per Definition. Allerdings muss man das Gemeinwohl abgrenzen von der juristischen Form der Gemeinnützigkeit. Am Begriff des sozialen Unternehmertums kann man kritisieren, dass er sich sprachlich auf die soziale Komponente konzentriert. Ein Unternehmen, das ökologisch-nachhaltig agiert, fühlt sich dabei womöglich nicht mitgemeint. Ich spreche am liebsten vom Impact Unternehmertum, da der Begriff meines Erachtens am inklusivsten ist. Im Grunde beschreiben aber alle Begriffe eine Form des Wirtschaftens, die nicht allein den Profit in den Vordergrund stellt.

Wie wird dieser positive Einfluss gemessen und bewertet?

Das ist gar nicht so einfach. Denn es hängt davon ab, welchem gesellschaftlichen Beitrag wir einen höheren Stellenwert zuschreiben. Ist es das Unternehmen, das mit seiner Arbeit 1.000 Menschenleben rettet oder jenes, das eine Million Bäume pflanzt? Was man aber sagen kann: Die Zielvision und ihr Erreichen, einen großen Impact zu leisten, macht ein Unternehmen zu einem Zebra. Ein bekanntes Beispiel ist der Outdoorhersteller Patagonia, der besonders nachhaltig produziert und verkauft und sich schon in den 1980er-Jahren dazu verpflichtet hat, mindestens ein Prozent seines Umsatzes für den Umweltschutz zu spenden.

Einen grünen Anstrich gibt sich ja heute fast jedes Unternehmen. Wie erkennt man, ob ein Unternehmen ein Zebra ist oder „Greenwashing“ betreibt?

Das ist in der Tat für den Einzelnen nicht immer leicht. Aber Verbraucherinnen und Verbraucher können zum Beispiel darauf achten, ob Unternehmen sich freiwillig als sozial und ökologisch nachhaltiges Unternehmen haben zertifizieren lassen, etwa als Teil der sogenannten B-Corp-Bewegung. Auch in anderen Netzwerken finden sich Unternehmen, die sich selbst strenge Regeln setzen, man findet sie unter Schlagwörtern wie „Purpose“ oder „Verantwortungseigentum“. Unter „Purpose“ versteht man eine übergeordnete Mission für die Gesellschaft oder Umwelt, die ein Unternehmen verfolgt. Auch beim „Verantwortungseigentum“ steht dieser übergeordnete Zweck im Mittelpunkt und ist verankert in der Rechtsform, nicht kurzfristiges Streben nach Profit.

Eine Beziehung zu dem aufbauen, was wir konsumieren

Man muss also auf die richtige Zertifizierung achten.
Was die Sache allerdings nicht einfacher macht: Es gibt auch Unternehmen, die nicht die Ressourcen haben, ihr soziales oder ökologisches Engagement zu kommunizieren oder zertifizieren zu lassen, obwohl sie nachhaltig sind. Um die Lage übersichtlicher zu gestalten, wäre generell mehr Transparenz sinnvoll. Ein Label, das klar kennzeichnet, zu welchen Standards sich ein Unternehmen bekennt, hilft dabei. Doch die Leute müssen auch für sich selbst entscheiden, nach welchen Werten sie konsumieren möchten.

Was meinen Sie damit genau?

Wer viel Wert legt auf regionale Produkte, wird sich schwerer tun, beim Discounter fündig zu werden. Da muss vielleicht eine Gemüsekiste vom Bauernhof her. Andere stehen womöglich vor der Frage, ob ihnen Bio-Ware oder Fair-Trade-Produkte wichtiger sind. Die Antworten auf diese Fragen muss jede und jeder für sich selbst finden. 

„Natürlich haben Einhörner etwas Magisches, nicht nur in der Fabelwelt. Aber es geht vielen Gründerinnen und Gründern nicht nur darum, sehr reich zu werden.“

Wie blicken Sie selbst auf das Thema?

Ich habe mit meiner Familie früher in Oxford gelebt, wo wir Teil einer solidarischen Landwirtschaftsgemeinschaft waren, eine durchaus prägende Erfahrung. Um nur ein kleines Beispiel zu geben: Als wir dort dem neu geborenen Kalb einen Namen geben durften, hatte das für uns zwar keinen monetären Mehrwert. Aber trotzdem hat es etwas mit uns gemacht. Ich glaube, wir sollten wegkommen von der Metrik, die nur Profitoptimierung und möglichst niedrige Preise im Blick hat. Stattdessen sollten wir eine Beziehung aufbauen zu dem, was wir essen, trinken und anderweitig konsumieren. Auch das schafft einen Mehrwert. 

Gibt es Unternehmen, die sich nicht mit der Absicht gründen, ein Zebra zu sein, aber im Lauf der Zeit einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen?

Ja, manchmal verändern sich Unternehmen. In der Fachterminologie sprechen wir hier auch vom Pivoting, einem Umschwenken. Wer schon viel erreicht hat, fragt sich manchmal auch, was er oder sie der Gesellschaft nun zurückgeben kann. Auf diese Weise kann ein Einhorn zum Zebra werden. 

Geht das so einfach?

Nein. Wenn ein börsennotiertes Unternehmen seinen Aktionärinnen und Aktionären verpflichtet ist, kann es sich nicht so einfach vom Streben nach Gewinnmaximierung verabschieden. Es sei denn, bestimmte Werte sind schon so tief im Unternehmen verankert, dass sich Führungsriege, Mitarbeitende und Anteilseigner einig sind: Es würde dem Unternehmen schaden, sich von diesen Werten zu verabschieden. 

Wie misst man den positiven Einfluss von Impact-Unternehmen? Das ist gar nicht so leicht, sagt Ali Gümüşay, denn „es hängt davon ab, welchem gesellschaftlichen Beitrag wir einen höheren Stellenwert zuschreiben.“ Foto: Manu Theobald

Gibt es solche Firmen tatsächlich?

Ja, auch im deutschen Mittelstand tummelt sich so manches Zebra. Insbesondere viele Familienunternehmen schreiben ihren eigenen Familienwerten einen höheren Stellenwert zu als dem Profit. Was das in der Praxis bedeutet, zeigte sich beispielsweise während der Pandemie, als diese Unternehmen trotz großer Probleme keine Stellen abbauten, sondern einen langen Atem bewiesen.

Wie kommt ein Zebra an das nötige Kapital von Investoren, um zu wachsen?

Hier müssen wir zwischen zweierlei Typen unterscheiden: Die Zebras, die ohnehin auf hohe Profite aus sind und nebenbei gesellschaftliche Veränderungen anstoßen möchten, haben genauso gute Chancen auf Risikokapital wie andere Unternehmen auch. Dort, wo der Impact den Profit verringert, tun sich Start-ups bei klassischen Investorinnen und Investoren schwerer. Allerdings gibt es immer mehr Geldgeber, die ihre eigenen Messkriterien anlegen und andere Erwartungen an die jungen Unternehmen haben.

Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr eine Nationale Strategie für gemeinwohlorientierte Unternehmen beschlossen. Wie bewerten Sie diese?

Als wichtig und richtig. Es braucht bessere institutionelle Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientierte Unternehmen und einen klaren Rechtsrahmen, der besser zu ihren Zielen und ihrem Wirken passt. Wichtig ist auch eine bessere Förderung. Zuletzt braucht es ein solides Ökosystem, also zum Beispiel einen funktionierenden Austausch zwischen diesen Unternehmen und uns als Wissenschaft. Das Gesetz setzt für all diese Aspekte einen guten Rahmen. Allerdings muss dieser Rahmen nun auch gefüllt werden. Warten wir mal ab, wie viele soziale Innovationen in den kommenden Jahren tatsächlich gefördert werden.

Kann ein Zebra im Wettbewerb mit den Einhörnern denn überhaupt konkurrenzfähig sein?

Diese Frage legt nahe, dass Zebras und Einhörner im gleichen Feld spielen. Das tun sie aber nur auf faire Weise, wenn wir den Bewertungsmaßstab weiten und nicht nur auf den Umsatz oder Profit schauen. Welchen Wert hat es, wenn ein Zebra neben etwas Profit auch tausende Menschen gesünder macht, aber dabei weniger Geld verdient als ein anderes Unternehmen? In meinen Augen ist das sehr konkurrenzfähig!

Interview: Felicitas Wilke

Prof. Dr. A. A. Gümüsay bezeichnet sich selbst als Organisationswissenschaftler. Er promovierte in Oxford, danach folgten Stationen an der WU Wien, der University of Cambridge und der Universität Hamburg. Seit 2023 forscht er am Innovation & Entrepreneurship Center (IEC) der LMU. Seine Professur ist an der LMU Munich School of Management angesiedelt. Parallel dazu leitet er eine Forschungsgruppe am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin. 

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