Öffentliche Debatten haben sich verändert: Der Ton ist rauer, die Auseinandersetzung aggressiver geworden. Toleranz und Respekt verlieren an Durchsetzungskraft. Nicht zuletzt bedrohen Fake News die Gesprächskultur.
Das sind keine guten Nachrichten für die Demokratie. Der 2020 von Florentin Siegert gegründete Verein Youmocracy hält dagegen: Sein Ziel ist es, den argumentativen Austausch an deutschen Universitäten zu fördern. „Wir wollen möglichst oft und regelmäßig eine gute Diskussionskultur in die Gesellschaft reintragen“, erklärt Paula Hofmann von der Münchner Regionalgruppe.
Ihr Team, das sich aus Studierenden der LMU zusammensetzt, hat bereits viele spannende Foren organisiert: Kurz nach der Bundestagswahl diskutierte man über die Wahlentscheidungen junger Wählender. Es gab Veranstaltungen zur Rolle der Großmächte und zum Aufstieg Chinas, zur sozialen Ungleichheit und über die Frage, ob ein soziales Pflichtjahr für alle eingeführt werden soll. Man diskutierte über Elon Musks Medienmacht, die Klimawandelproteste und Künstliche Intelligenz.
Diskussion in der FishBowl
Ins neue Jahr startete die Studierendeninitiative zur Stärkung der Demokratie mit einer Diskussion über die Frage, wie demokratische Parteien auf den allgemeinen Rechtsruck reagieren sollen. Über fünfzig Gäste kamen ins Kulturzentrum am Hasenbergl – für den Verein die erste Veranstaltung dieser Größe.
Auch ein neues Format wagten die Veranstalter: Die sogenannte „FishBowl“-Diskussion. Wer etwas zum Gespräch beitragen wollte, setzte sich einfach für einen kurzen Beitrag zu den Vertretern der Jungen Union, der Grünen Jugend, der Jungen Liberalen, des Verbands Jüdischer Studenten und des Vereins „München ist bunt“ auf die Bühne. Das Konzept ging auf: Tatsächlich war das Interesse daran, sich am Gespräch zu beteiligen, so groß, dass sich immer wieder lange Warteschlangen bildeten. Erfahrene Diskutanten setzten sich auf die freien Stühle, aber auch manche, die der Moderatorin Paula Hofmann zuflüsterten, dass sie noch nie etwas auf einer Bühne gesagt hätten.
„Für die Besucher ist das eine ideale Möglichkeit, sich auszuprobieren“, sagt Paula Hofmann. „Sie sollen sich empowered fühlen und die Erfahrung machen, dass ihre Meinung für die Demokratie wichtig ist.“
Schon seit drei Jahren leitet die 22-jährige Politikstudentin die Gesprächsforen von Youmocracy, seit diesem Jahr zusammen mit ihren Kommilitonen Thomas Weber, Linus Spörl und Vinzenz Knöll. Während ihrer Ausbildung zur Demokratiebotschafterin hat sie in Rollenspielen erprobt, wie man am besten mit den gängigen Diskussionstypen umgeht: dem „Plauderer“, dem „Störer“ und dem „Stillen“.
Grundsätzliche Bereitschaft zum Konsens
Ein gutes Training muss sein, denn die Ansprüche des Vereins an die Diskussionskultur sind hoch. Nicht von ungefähr sitzen im Beirat zwei ehemalige Bundestagspräsidenten: Wolfgang Thierse (SPD) und Norbert Lammert (CDU).
Fairness und Respekt werden von den Diskussionsteilnehmern und -teilnehmerinnen verlangt, Offenheit, Vorurteilsfreiheit und Toleranz gegenüber jeder politischen Couleur, so steht es in den Statuten, Meinungsvielfalt: ja. Aber auch eine grundsätzliche Bereitschaft zum Konsens.
„Als Moderatorin braucht man Empathie und Fingerspitzengefühl“, so Paula Hofmann. Schwierig findet sie, anderen „reinzugrätschen“, wenn sie zu lange reden. Knifflig sei es auch, Dynamik und Fluss im Gespräch zu halten. Und natürlich ist es für einen politisch denkenden Menschen gar nicht so einfach, die eigene Meinung zurückzuhalten. „Man lernt das nur mit viel Selbstdisziplin und Übung“, sagt sie.
Ihre gute Vorbereitung machte sich auch diesmal bezahlt. Denn irgendwann drohte die Diskussion zu verrutschen, Argumente zum Krieg im Gazastreifen flogen durch die Luft. Die Stimmung: geladen.
Sie hatte damit gerechnet, angespannt war sie trotzdem, erzählt Paula später. „Es war eine Gratwanderung: Ich wollte den Meinungen Raum geben und den Leuten erlauben, sich gehört zu fühlen und Dampf abzulassen.“ Aber: „Israel war nicht Thema des Abends.“ Mit diesem pragmatischen Argument brachte sie die Diskussion zurück auf Kurs.
Zwei Tage zuvor hatte sich an anderer Stelle gezeigt, dass die Nerven gerade blank liegen. Der Verband Jüdischer Studenten hatte sich kurzfristig gegen das EineWeltHaus als Veranstaltungsort entschieden. Paula Hofmann sah sich gezwungen, das Unmögliche möglich zu machen und in Windeseile mit dem Kulturzentrum am Hasenbergl einen neuen Ort zu finden – mit Erfolg.
Fünf Stunden Ehrenamt pro Woche
Ihr Ehrenamt kostet sie normalerweise rund fünf Stunden pro Woche. Meetings leiten, Pressearbeit machen, die Veranstaltungen vor- und nachbereiten: „Das macht voll Spaß, es gibt einem viel zurück.“
Ihre Erfahrung: „Wichtig ist, dass man das priorisiert. Lässt man es nebenbei laufen, wird es nicht groß. Allein schafft man es auch nicht. Ich bin ein großer Fan davon, etwas gemeinsam zu tun und Kräfte zu bündeln. Wir brauchen Leute, die nicht nur reden, sondern machen.“
Auch künftig hat die Münchner Gruppe eine Menge vor. Zwei große und mehrere kleine Veranstaltungen im Jahr stehen auf der To-Do-Liste. Die nächste Veranstaltung ist der Demokratietag am 25. Mai. Die Veranstalter erwarten hundert Teilnehmende – mindestens!
• goe
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